Wie man 69 Tage in der Tiefe überlebt

Der Schutzraum in der chilenischen Unglücksmine San José war für einen kurzen Not-Aufenthalt und nicht für fast sieben Wochen ausgelegt. Die Bergleute berichten jetzt, wie sie sich gegenseitig Mut machten und den Alltag im Dunkel des Berges organisierten.

san josé Die Luftfeuchtigkeit betrug 85 Prozent, die Temperatur lag bei 35 Grad. Die 33 verschütteten Bergleute der chilenischen Unglücksmine San José haben 69 Tage lang in 624 Metern Tiefe unter nahezu unmenschlichen Bedingungen ausgehalten.

Nach ihrer spektakulären Befreiung erzählen die Kumpel nun vom Alltag ihres Eingeschlossenseins. "Es hat einige schwierige Momente gegeben", gab Schichtleiter Luis Urzuia zu, der als Letzter die Mine verließ. "Nachdem das Unglück passiert ist, habe ich zuerst gedacht, wir würden nur ein, zwei Tage eingeschlossen bleiben. Aber als ich die herabgestürzten Gesteinsmassen sah, wusste ich, das dauert keine Tage, das dauert sehr lange. Das hat mir meine Erfahrung gesagt." Letztendlich siegte der Überlebenswille, auch wenn es 17 Tage dauerte, bis die erste Rettungsbohrung zu den Eingeschlossenen vordrang.

Ricardo Villaroel Godoy berichtet von den Problemen mit dem Trinkwasser, das die Kumpel von den Wänden aufnahmen. "Es hat schlecht geschmeckt. Nach Öl, von den ganzen Maschinen. Aber ich musste es trinken."

In völliger Dunkelheit und ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt kämpften die Männer in den ersten Tagen ums Überleben. Sie rationierten die wenigen Lebensmittel: Pro Mann und Tag gab es einen Viertel Keks, einen Löffel Thunfisch, ein viertel Glas Milch und einen halben Konserven-Pfirsich.

In ihren ersten Reaktionen in der Öffentlichkeit betonten alle Bergleute, die Geschlossenheit und Solidarität in der Gruppe. Doch eine Bemerkung von Schichtleiter Luis Urzuia lässt darauf schließen, dass es auch Probleme in der Gruppe gab: "Es gab Tage, da waren wir erschöpft und blutleer. Einige wollten Dinge machen, die nicht so gut waren. Aber wir konnten den Verstand bewahren." Versuche, sich in einem nicht eingestürzten Stollen von der Gruppe abzusetzen, schlugen fehl.

Um den Zusammenhalt zu stärken und das Überleben zu organisieren, stellte Urzuia einen Aufgabenplan auf. Es wurden Zuständigkeiten vergeben: Trinkwasserversorgung, Elektrizität, Kommunikation, Wachdienst und Gottesdienste. Jeder Bergmann konnte so in einem vorgegebenen Zeitplan einen normalen Rhythmus aufrechterhalten, zugleich hatte jeder Kumpel das Gefühl, etwas Wichtiges für die Gruppe zu leisten.

Das Areal, in dem sich die Männer bewegen konnten, war vergleichsweise groß. In Fernsehbildern, die die Männer als Gruppe zeigten, entstand der Eindruck, die Kumpel lebten nur auf engstem Raum. Doch in Wirklichkeit gab es hinter der Werkstatt, in die die Rettungskapsel am Dienstag erstmals einfuhr – große Rückzugsgebiete.

Edison Pena spulte dort sogar ein tägliches Lauftraining ab, um fit zu bleiben. Auch Duschen wurden später installiert, als die Versorgungsleitungen von der Erdoberfläche in die Tiefe gelegt wurden. Nun konnte auch Kleidung gewaschen werden, obwohl die meisten Kumpel wegen der Hitze nur mit einer kurzen Hose bekleidet waren.

Mit jedem Tag wurde die Versorgung besser. Sogar Geburtstagstorten gab es für die Kumpel, allerdings wurden sie in Einzelteilen geliefert, damit sie durch den schmalen Versorgungskanal passten. Unten angekommen, hatten die Kumpel sichtlich Spaß daran, den Kuchen zusammenzusetzen.

Besonders dankbar zeigten sich die Männer für die erstklassige Telekommunikation unter Tage. Dank eines Glasfaserkabels hatten die Bergleute die Möglichkeit, auf einer Großbildleinwand Fußballspiele zu sehen. In einem Chatroom sprachen die Kumpel täglich mit ihren Familien und konnten die Angehörigen auch sehen. Allerdings war die Sprechzeit auf wenige Minuten begrenzt, um alle 33 Männer zu Wort kommen zu lassen.

Als die erste Rettungssonde nach 17 Tagen bei den Eingeschlossenen eintraf, setzte dies wahre Adrenalinstöße frei. Schichtleiter Luis Urzuia berichtet: "Eigentlich hatten wir für diesen Moment einen Plan, aber alle waren überwältigt und wollten den Bohrer berühren. Wir hatten einige Zettel mit Nachrichten wie ,Wir haben Hunger' oder ,Hol' mich hier raus Vater', am Ende aber haben wir uns entschieden das Papier nach oben zu schicken, das schließlich auch angekommen ist." Es war die Botschaft, die um die Welt ging: "Es geht uns gut in unserem Refugio (Fluchtraum)– die 33".

Internet Chile im Freudentaumel – Bilder und Videos unter www.rp-online.de/panorma

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