Wie die CDU Schule macht

Die CDU hat den Kampf gegen Gesamt- und Gemeinschaftsschule aufgegeben – jetzt auch in NRW. Die Bundespartei steuert auf ein zweigliedriges System zu. Die Courage hat man in Düsseldorf (noch) nicht.

Düsseldorf Es war einmal eine Zeit, da war Schulpolitik noch überschaubar. Damals, vor gut 30 Jahren, trat die CDU mit aller Kraft und in allen Bundesländern für das gegliederte Schulsystem aus Gymnasium, Realschule und Hauptschule ein. Die SPD dagegen setzte auf die brandneue Gesamtschule, also eine Schule für alle Kinder ab Klasse 5. Wäre der Begriff damals schon ins politische Vokabular eingeführt gewesen, man hätte sagen können, das dreigliedrige Schulsystem sei Teil des "Markenkerns" der CDU gewesen. Höhepunkt dieses Einsatzes war 1978 der erfolgreiche Widerstand in NRW gegen die von der SPD geplante "Koop"-Schule.

Lang ist's her; nicht nur chronologisch, auch politisch. SPD und Grüne bevorzugen zwar weiter integrative Konzepte; die CDU aber steht inzwischen für – ja, wofür eigentlich? Für etwas von allem: In CDU-regierten Bundesländern findet sich heute jenseits des harten Einheitsschulsystems fast jede Schattierung der Schulstruktur – von fast reiner Dreigliedrigkeit (Bayern) über Dreigliedrigkeit plus Gesamtschule (Hessen) bis zum zweigliedrigen System (Sachsen). Am Gymnasium will die CDU nicht rütteln. Den Kampf gegen die Gesamtschule hat sie längst aufgegeben.

Jetzt kommt offenbar in Nordrhein-Westfalen der Frieden mit der Gemeinschaftsschule dazu, dem neuen rot-grünen Lieblingsprojekt, in dem anders als in der Gesamtschule gemeinsames Lernen durchgängig bis Klasse 10 möglich sein soll. Der alte Kern des Schulkampfs – die Abwehrversuche der CDU gegen integrative Schulformen – ist zerbröselt.

Mehr noch: Dem CDU-Bundesparteitag im November liegt ein von der Parteispitze unterstützter Antrag vor, grundsätzlich ein zweigliedriges System – Gymnasium plus X – anzusteuern.

Was ist da passiert?

Zwei Dinge: erstens ein Ansturm auf Gesamtschule und Gymnasium, zweitens ein Absturz der Hauptschule. Zwischen den Säulen des Schulsystems haben sich die Gewichte dramatisch verschoben. Beispiel NRW: Besuchten 1970 noch 56 Prozent der Fünftklässler die Hauptschule, sind es heute noch zwölf Prozent. Umgekehrt wechseln heute 58 Prozent auf Gymnasium oder Gesamtschule, jene Schulen also, die direkt zum Abitur führen. 1970 waren es 25 Prozent.

Das hat die Partei unter erheblichen Druck gesetzt – auch aus CDU-geführten, vor allem ländlichen Kommunen, in deren Hauptschulen die Lichter ausgehen und deren Realschulen inzwischen ebenfalls heftig unter Druck stehen. Der allgemeine Rückgang der Schülerzahlen verschärft den Effekt.

Die CDU in NRW reagierte darauf mit einer verzweifelten Kampagne pro Hauptschule. Die von Ministerin Barbara Sommer (CDU) 2008 ausgerufene "Qualitätsoffensive" – Kernpunkte: mehr Betreuung, mehr Förderung, mehr Ganztag – schlug sich dennoch nicht in Zahlen nieder: Allein zwischen 2008 und 2010 brach die Zahl der Hauptschüler im Land um mehr als 13 Prozent ein.

2006 schon hatte Schwarz-Gelb als Reaktion auf den Niedergang der Hauptschule eine neue Schulform geschaffen: die Verbundschule. Haupt- und Realschulen arbeiten dabei unter einem Dach, mit einem Kollegium und einer Schulleitung, aber mit getrennten Bildungsgängen. Halbherzig war das Ganze auch deshalb, weil Verbundschulen nur auf dem Land erlaubt waren. Ergebnis: Nur 24 Verbundschulen haben in NRW seit 2006 den Betrieb aufgenommen.

Kleine Gemeinden sehen sich oft vor der Entscheidung, ihre letzten weiterführenden Schulen zu schließen oder auf neue, integrative Formen zu setzen, in NRW allen voran auf die besonders geförderte und daher konkurrenzlos ausgestattete Gemeinschaftsschule. Da kommt auch die Verbundschule nicht mit, weil sie keinen eigenen oder durch Kooperationen festgelegten Weg zum Abitur bietet.

Dass jede vierte Kommune in NRW an einer Gemeinschaftsschule interessiert ist, wie das Schulministerium nicht müde wird zu betonen, rührt nicht daher, dass die CDU-Bürgermeister plötzlich vom reformpädagogischen Furor gepackt wären und auf möglichst langes gemeinsames Lernen setzten – sie betreiben bloß Standortpolitik. Die Position ihres Landesverbands oder der Bundespartei ist dabei nachrangig.

Zudem zeigte sich nach der Wiedervereinigung, dass zweigliedrige Schulsysteme gut funktionieren können: In den Pisa-Ländervergleichen belegte das zweigliedrige Sachsen zuletzt den Spitzenplatz. Der ebenso umtriebige wie undogmatische Kultusminister Roland Wöller (CDU) sagt das auch unermüdlich landauf, landab und wirbt für entsprechende Strukturreformen.

Den Mut hat die NRW-CDU (noch) nicht. Ende 2010, aufgeschreckt durch das Wahl-Fiasko, hatte die Partei zwar eine Art Zweisäulenmodell ersonnen, es dann aber nach längerer Debatte wieder kassiert. In ihrem aktuellen Gesetzentwurf, der mit dem der Landesregierung zur Absicherung der Gemeinschaftsschule konkurriert, setzt die CDU wieder ganz auf Verbundschulen, wenn auch unter vereinfachten Bedingungen. Auch wenn die Basis vor Ort gern die Gemeinschaftsschule ausprobiert, weil sie attraktiver ist – der Landesverband mag doch nicht vom Bekannten lassen.

Die Verfassungsgarantie für die Hauptschule will allerdings inzwischen selbst die CDU streichen. Dafür wünscht sie sich eine Bestandsgarantie für Gymnasien und Realschulen. Von allem ein bisschen also. Ein zweigliedriges Schulsystem aber – das ist für die nordrhein-westfälische CDU derzeit unvorstellbar. So unvorstellbar wie vor 35 Jahren die Abkehr von der Hauptschule.

(RP)
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