London Wer geht als Nächster?

London · Der Brexit ist da. Und die EU bemüht sich, einen Dominoeffekt zu verhindern. In Brüssel weiß man: Auch andere Mitglieder liebäugeln mit einem Austritt.

Einigkeit. Kein anderes Wort fand sich wohl häufiger auf den Redemanuskripten der EU-Politiker, als sie am Morgen nach der Brexit-Nacht vor die Journalisten traten. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz und Co. spüren, dass die Briten nicht die Einzigen gewesen sein könnten, die der EU früher oder später den Rücken kehren. Denn rechtspopulistische Kräfte, denen der europäische Gedanke ein Graus ist, etablieren sich in immer mehr Parlamenten.

Niederlande "Historische dag", "Historischer Tag", schrieb Geert Wilders bei Twitter, als das Referendums-Ergebnis in Großbritannien feststand. Der niederländische Politiker und Vorsitzende der rechtspopulistischen "Partei für die Freiheit", der drittstärksten politischen Kraft in den Niederlanden, überschlug sich vor Freude: "Hurra für die Briten. Jetzt sind wir dran. Zeit für ein niederländisches Referendum." Brexit = Nexit? 43 Prozent der Niederländer fordern in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Maurice d'Hond den EU-Austritt der Niederlande. Bereits mit ihrem Votum beim Referendum über das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine schwächten die Niederländer den europäischen Geist. 61 Prozent sagten am 6. April dieses Jahres "Nee" zu dem Vertragswerk. Kleiner Wermutstropfen für die EU-Gegner: Volksabstimmungen sieht die niederländische Verfassung bisher nur für neue Gesetzesvorschläge vor.

Frankreich Wenn sie erst Präsidentin sei, werde sie sofort ein Referendum über den Verbleib Frankreichs in der EU organisieren, tönte die Chefin des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen. 48 Prozent der Franzosen wollen einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge aus der EU austreten. Eine hohe Arbeitslosigkeit im Land und Stagnation in der Wirtschaft haben die Bevölkerung EU-müde gemacht. Viele geben der europäischen Politik die Schuld an der Misere. Noch ist Le Pen aber nicht Präsidentin. Und ob sie es bei der Wahl 2017 überhaupt werden könnte, ist zweifelhaft.

Dänemark Aus Sorge um den Erhalt ihrer nationalen Identität lehnten die Dänen den Euro bei einer Volksabstimmung im Jahr 2000 mit knapper Mehrheit ab. Auch beim ersten Referendum über den Maastrichter Vertrag hatten sie im Juni 1992 mit Nein votiert. Der Vertrag schuf die rechtlichen und institutionellen Grundlagen für eine Wirtschafts- und Währungsunion. Erst nachdem weitgehende Ausnahmeregelungen vereinbart worden waren, stimmten die Dänen zu. Zwar fordert auch die rechtspopulistische Dänische Volkspartei einen EU-Austritt. Doch ihr Wunsch verhallt derzeit noch, weil sie die einzige Partei ist, die diesen Wunsch äußert.

Ungarn Ministerpräsident Viktor Orbán wird eigentlich nie müde, gegen die EU zu wettern. Die Pläne seiner rechtskonservativen Regierung für ein Referendum zu künftigen EU-Flüchtlingsquoten sind weit fortgeschritten. Zudem klagt Budapest vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die bereits beschlossenen Quoten. Zuletzt fand Orbán überraschenderweise einige lobende Worte für die EU. Dahinter stand allerdings das Kalkül, den für Ungarn wichtigen Handelspartner Großbritannien in der EU zu halten.

(jaco)
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