Analyse Wenn Eltern ins Heim müssen

Düsseldorf · Plätze im Pflegeheim sind teuer. Bevor das Sozialamt einspringt, bittet es häufig Kinder und Ehepartner zur Kasse. Unter Umständen müssen sie sogar Immobilien verkaufen. Das wollen Pflegepolitiker nun ändern.

Wenn Menschen ins Pflegeheim kommen, bedeutet das einen tiefen Einschnitt – oft auch in das Portemonnaie. Pflegeplätze sind teuer, sie können bis zu 4000 Euro im Monat kosten. Wenn das Einkommen der Pflegebedürftigen nicht reicht, springt das Sozialamt ein. Die Behörde versucht aber, sich das Geld von den Angehörigen zurückzuholen. Bisweilen wollen Städte sogar an die Eigenheime gehen, wie ein Düsseldorfer erleben musste. Seine Mutter hatte ihm ein Haus geschenkt und war dann in ein Altenheim gezogen. Weil sie nicht genug Geld hatte, sprang die Stadt ein und versuchte, von dem Sohn Heimkosten über 70 000 Euro zurückzubekommen. Doch das Landgericht Düsseldorf winkte ab. Die Klage sei "derzeit unbegründet", so die Richter (Az.: 14c O 205/11). Der Sohn hatte geltend gemacht, dass er seine an Multipler Sklerose erkrankte Ehefrau unterstützen müsse und das Haus nicht abgeben könne. Dennoch schreckt der Fall viele auf.

Wer muss für die Pflege von Angehörigen aufkommen?

Grundsätzlich sind Ehepartner (auch wenn sie getrennt leben) und Verwandte in gerader Linie verpflichtet, für den Angehörigen einzustehen. Das sind Eltern gegenüber ihren Kindern und Kinder gegenüber ihren Eltern. "Geschwister müssen untereinander keinen Unterhalt leisten, auch Nichten und Neffen nicht gegenüber Onkeln und Tanten", sagt Dirk Bachmann, Rechtsanwalt für Familienrecht in Düsseldorf.

Was müssen Kinder für ihre pflegebedürftigen Eltern zahlen?

"Ein Unterhaltsverpflichteter kann im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit herangezogen werden", sagt Bachmann. Und die ergibt sich aus seinen gesamten Einkünften – Gehältern, Zinsen aus Kapitalvermögen, Mieteinnahmen. Dabei billigt der Staat den Unterhaltspflichtigen aber einen Selbstbehalt zu. Der Selbstbehalt eines Kindes beträgt 1600 Euro im Monat (plus 1280 Euro für den Ehegatten). Hinzu kommt die Hälfte des darüber liegenden Nettolohnes. Zudem können Unterhaltspflichtige weitere Belastungen geltend machen, etwa Schulden für ihr Eigenheim, die eigene Altersvorsorge oder vorrangige Unterhaltspflichten wie gegenüber eigenen Kindern. Die Ansätze hierfür richten sich nach der "Düsseldorfer Tabelle".

Dabei komme es stets auf den Einzelfall an, sagt Verena Querling, Referentin für Pflegerecht bei der Verbraucherzentrale NRW: "Niemand muss etwa die Reitstunde seines Kindes kündigen, um die Pflege der Eltern zu finanzieren."

Was müssen Ehepartner zahlen?

Ehepartner haben einen Selbstbehalt von mindestens 1100 Euro im Monat, erläutert Bachmann. Zudem gelte der Grundsatz, dass der Unterhaltspflichtige nicht mehr als die Hälfte seines Einkommens zur Finanzierung der Pflegekosten abgeben muss.

Was passiert mit Vermögen?

Grundsätzlich können Sozialämter von Angehörigen auch eine Verwertung ihres Vermögens verlangen. Allerdings gibt es viele Einschränkungen. "Die selbst genutzte Immobilie ist in der Regel geschützt, soweit sie nicht als unangemessen luxuriös betrachtet wird", sagt Bachmann. "Als angemessen gelten für eine vierköpfige Familie 120 Quadratmeter", sagt Querling. Wohnt in dem Haus nur ein Ehepaar, gelten nur 80 Quadratmeter als angemessen.

Zudem muss dem Unterhaltspflichtigen eine Vermögensreserve für unvorhersehbaren Bedarf belassen werden. Die Empfehlungen reichen von 10 000 bis 75 000 Euro. Laut Bundesgerichtshof kommt es aber auf den Einzelfall an. "Wer für ein notwendiges Auto spart, muss das Ersparte nicht für das Pflegeheim der Eltern hergeben", betont Querling. Doch manchmal muss man den Grundsatz gegenüber dem Sozialamt deutlich machen.

Was passiert, wenn der Pflegedürftige mehrere Kinder hat?

Dann werden Kinder jeweils im Verhältnis ihrer Leistungsfähigkeit herangezogen. "Dies führt regelmäßig zu Spannungen", sagt Bachmann. Wer gut verdiene, könne schnell der Dumme sein. Wenn ein Kind nicht zahlt, obwohl es könnte, müssen die Geschwister seinen Part jedoch nicht übernehmen.

Können Eltern per Vertrag mit den Kindern auf Unterhalt verzichten?

Nein. "Solche Vereinbarungen sind gesetzlich ausgeschlossen und damit nichtig. Denn sie verfolgen erkennbar das Ziel, die Unterhaltsverpflichtung auf die Öffentlichkeit abzuschieben", sagt Bachmann. Allerdings können rechtzeitige Schenkungen etwa an die eigenen Kinder das Vermögen mindern, auf das das Sozialamt zugreifen kann. Zudem sind Investitionen in die eigene angemessene Altersvorsorge grundsätzlich vor dem Zugriff geschützt.

Ist es akzeptabel, dass Kinder oder Ehepartner grundsätzlich für Pflegebedürftige aufkommen müssen?

Die Rechtsanwältin Bärbel Schönhof sieht Reformbedarf. "Es kann nicht gerecht sein, dass die Altersvorsorge eines Ehepartners aufgelöst wird, um die Heimkosten für den anderen zu bezahlen", sagt sie. Damit produziere man nur den nächsten Sozialfall. "Zumal die meisten Ehepartner jahrelang gepflegt haben, bevor der Mann oder die Frau ins Heim kommen." Der CDU-Bundestagsabgeordnete und Pflegeexperte Willy Zylajew meint grundsätzlich: "Wir sind immer gezwungen, füreinander zu haften." Aus seiner Sicht muss es aber im Bereich Gesundheit und Pflege mehr Ausnahmen in Härtefällen geben.

Welche Alternative gibt es?

Die Ausnahmen von der Haftung für Kinder, Eltern und Ehepartner könnten ausgeweitet werden. Bislang müssen etwa Eltern drogenabhängiger Kinder nicht für deren Entzugskuren aufkommen. Bei Behinderten leistet der Staat die sogenannten Eingliederungshilfen. CDU-Mann Zylajew fordert, solche öffentlichen Mittel auch für Pflegebedürftige einzusetzen. "Dort, wo die Mittel der Pflegeversicherung und die eigenen Mittel der Betroffenen nicht ausreichen, müssen wir die Pflegebedürftigen wie Menschen mit Behinderung behandeln", sagt Zylajew. Aus seiner Sicht würden die Kosten für eine solche Reform nicht unmäßig ausfallen, da es sich nur um Einzelfälle handele.

(RP)
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