Kolumne „Mit Verlaub!“ Absurde Vorwürfe

Wenn der Rassismus-Hammer kreist, sind auch die Größten nicht sicher. Allüberall Rassismus-Verdacht. Rassismus-Ankläger lösen die Anstands-Wauwaus aus puritanischen Zeiten ab.

 Immanuel Kant, Deutscher Philosoph

Immanuel Kant, Deutscher Philosoph

Foto: Keystone

Vor drei Tagen kaufte ich eine deutsche Tageszeitung, die auf Seite 1 ein Foto des abendländischen Denkers Immanuel Kant (1724–1804) zeigte. Daneben die Frage: Rollt auch sein Kopf? Eine junge Verkäuferin stutzte: „Kenn ich den? Ist der nicht tot? Wieso rollt dann sein Kopf?“ Ich sagte leise: „Das war ein großer Philosoph, der lebt schon seit zwei Jahrhunderten nicht mehr; er wird jetzt auch von dummen Leuten, die Statuen stürzen, des Rassismus verdächtigt.“ Antwort: „Mhm, wieder was gelernt.“ Darauf mischte sich eine Kollegin ein: „Das ist jetzt so“. Sie sympathisierte mit der modischen Variante alter Bilderstürmerei.

Wir spüren in diesen Tagen: Die Taliban sind nicht allein auf der Welt. Hier irrwitzige Sprengungen teilweise Jahrtausende alter orientalischer Kulturgüter, dort hasserfüllte Raserei um titanische Persönlichkeiten wie etwa Kolumbus, Churchill oder eben Kant. Ist das bloß Pöbelei oder Beleg kultureller Auszehrung?

So wie wir Kinder unserer Zeit sind, so waren es auch unsere Größten – alles aus krummem Holz und fehlerbehaftet. Churchill hatte imperialistische, rassistische Züge, Gandhi nannte er einen „halbnackten Fakir“. Staatsgründer Bismarck ließ Sozialisten verfolgen und Katholiken drangsalieren, die bahnbrechenden Denker Kant und Hegel testierten der weißen Rasse Vorrang, Jahrtausendfiguren wie Luther und Marx waren scharfe Antisemiten, ebenso wie Musikgenie Richard Wagner. Sollen wir sie jetzt alle von ihren Sockeln reißen, ihnen symbolisch die Köpfe abschlagen? Dann dürfte es demnächst ein gesinnungsschnüffelnder Mob noch einmal mit Bücherverbrennungen nicht vollends persilweiß gewaschener Großschriftsteller versuchen.

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