Berlin "Weiter so" ist für Merkel zu wenig

Berlin · Die Sympathiewerte der Kanzlerin stürzen um zehn Prozentpunkte ab. Ist das ein Signal für Martin Schulz, dass doch noch was geht?

"Weiter so" ist für Angela Merkel zu wenig
Foto: dpa, ped vge

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz rackert sich ab, die Umfragewerte bleiben im Keller. Er reist nach Italien, bespricht die Flüchtlingskrise - aber Angela Merkel braucht nur aus dem Urlaub in Italien anzurufen und behält das Heft in der Hand. Ihre Union pendelt seit Wochen zwischen 38 und 40 Prozent, während die SPD unterhalb der 25-Prozent-Marke eingefroren bleibt. FDP-Chef Christian Lindner hält unter diesem Eindruck das Rennen um Platz eins bereits für entschieden. Doch nun verliert Merkel im ARD-"Deutschlandtrend" zehn Prozentpunkte bei den Zufriedenheitswerten. Sollte es sich doch noch einmal drehen?

"Keiner kann seriös sagen, dass die Wahl schon entschieden ist", hebt Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen hervor. Er sieht "Bewegungen im nennenswerten Umfang" noch als möglich an. Das müsse zwar nicht passieren, könne aber durchaus noch einmal in Gang kommen. Angesichts der großen Sprunghaftigkeit der Wähler seien überall Abweichungen von drei Prozentpunkten nach oben oder unten leicht drin. Und das entscheide erheblich über mögliche Koalitionen.

Noch scheint der Abstand riesig zu sein. Wenn die Deutschen ihren Kanzler direkt wählen könnten, würden sich 52 Prozent für Merkel und nur 30 Prozent für Schulz entscheiden. Merkel verlor allerdings fünf Prozentpunkte, Schulz gewann zwei hinzu. So viel Bewegung nun alle zwei Wochen, und es würde noch einmal spannend bis Ende September.

"Seit der Flüchtlingskrise sind Merkels Zustimmungswerte schütterer geworden, es geht schneller auf und ab", erklärt Meinungsforscher Richard Hilmer vom Institut Policy Matters. Es genügten inzwischen weniger Anlässe, um sie unter Druck zu bringen. Der aktuelle Zehn-Punkte-Absturz sei ein Beispiel: "Das hängt sicher mit der Dieselkrise zusammen, aus der sich Merkel herausgehalten hat, die die Deutschen aber stark beschäftigt", lautet Hilmers Analyse. Die Mehrheit stehe nach wie vor hinter der Kanzlerin, aber sie verlange in diesem Jahr mehr von ihr. "Es reicht den Menschen nicht, wenn sie zur Alterssicherung nur sagt, das mache sie nach der Wahl", erläutert Hilmer.

Mit der Botschaft "Sie kennen mich" werde die Kanzlerin nicht noch einmal durchkommen, sagt Hilmer voraus. "Da muss sie noch deutlich nachlegen", erklärt der Demoskop. Doch die erste Wahlkampfphase ist bei der CDU tatsächlich wieder als Wohlfühlkampagne angelegt. Merkel soll für ein Deutschland stehen, in dem man "gut und gerne" lebe. Um die Details kümmere sie sich dann schon. Doch für den Stimmungsexperten Hilmer gilt: "Da kann noch viel in Bewegung kommen, etwa durch Merkels Abschneiden im TV-Duell mit Schulz."

Für den SPD-Herausforderer werde es schwierig sein, noch einmal die Werte vom Jahresanfang zu erreichen, als er bei der Beliebtheit Merkel beinahe mühelos überholte und die SPD auf Augenhöhe mit der CDU gebracht hatte. Doch auf der anderen Seite ist auch nichts gewiss: "Die scheinbar stabilen Werte von Merkel sind so stabil nicht."

Das hängt auch damit zusammen, dass große Teile der Wahlberechtigten sich noch nicht entschieden haben. Der Effekt war bei den Landtagswahlen im Saarland, in Rheinland-Pfalz, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen zu beobachten: Überall lagen sechseinhalb Wochen vor der Wahl andere in den Umfragen in Führung als letztlich die Wahl gewannen.

Und so zeigt sich der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann zuversichtlich, in der heißen Phase des Wahlkampfs noch viele Menschen überzeugen zu können. "Ich rechne damit, dass in den nächsten drei bis vier Wochen die politischen Einstellungen in diesem Land zu den verschiedenen Parteien sich deutlich ändern werden", sagte Oppermann in Berlin. Man werde klarmachen, welche Unterschiede es zwischen SPD und CDU gebe - in der Rentenpolitik, in der Gesundheitspolitik, in der Steuerpolitik. "Die Bundestagswahl ist für mich völlig offen", betonte Oppermann auch angesichts der noch zu rund 40 Prozent unentschlossenen Wählerschaft.

Wenn die Leute erst verstanden hätten, dass mit der Union das Rentenniveau von 48 auf 43 Prozent absinke und die Leute am Ende bis 70 arbeiten müssten, dann würden sie ganz sicher hellhörig, sagt Oppermann. "Und dann werden sie ihre Entscheidung anders treffen als heute in den Meinungsumfragen", glaubt der SPD-Fraktionschef.

Mindestens die Koalitionsfrage ist für Demoskop Hilmer völlig offen. Die Union habe zwar die besten Chancen, stärkste Kraft zu werden. Aber es sei noch lange nicht ausgemacht, ob der Abstand so groß bleibe, dass sie sich aussuchen können, mit wem sie regieren möchte. Hilmer: "Das kann auch noch unbequem für die Union werden."

(jd / may-)
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