Unterwegs mit der Wehrbeauftragten Eva Högl Der Mangel als Ausrüster

SANITZ · Unterwegs mit der Wehrbeauftragten des Bundestages, Eva Högl, die eine Truppe besucht, in der „von allem zu wenig“ da ist. Von zwölf „Patriot“-Systemen zur Flugabwehr ist noch eines bei der Bundeswehr im Inland. Kann die Bundeswehr so das eigene Land verteidigen?

Die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Eva Högl, bei ihrem Besuch der Flugabwehrraketengruppe 21, im Gespräch mit dem Kommandeur, Oberstleutnant Markus König, in Sanitz.

Die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Eva Högl, bei ihrem Besuch der Flugabwehrraketengruppe 21, im Gespräch mit dem Kommandeur, Oberstleutnant Markus König, in Sanitz.

Foto: Bundeswehr/Jane Schmidt

Wenn Zeitenwende nur so einfach ginge. Und dann auch noch der „Kaltstart“: von gleich auf sofort. Kasernen bröckeln, Duschen schimmeln, Heizungen sind kaputt, WLAN fehlt. Ist die Bundeswehr im derzeitigen Zustand tatsächlich einer der attraktivsten Arbeitgeber Deutschlands, zu der die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen Anfang 2014 kurz nach ihrem Amtsantritt einst die Streitkräfte machen wollte? Die Wehrbeauftragte des Bundestages könnte es wissen. Eva Högl ist an diesem April-Tag mal wieder ausgerückt zur Inspektion bei der Bundeswehr. Nachgucken, wie es der Truppe geht, aufspüren, was die Soldatinnen und Soldaten fühlen, wie sie den veränderten Lauf der Dinge sehen. 70 Besuche bei der Truppe im In- und Ausland hat die Wehrbeauftragte im vergangenen Jahr absolviert. „Normalerweise komme ich ohne Presse“, sagt die SPD-Politikerin gleich zum Auftakt. Interne Gespräche sollen intern bleiben. Aber an diesem Tag soll auch die Öffentlichkeit wissen, wie es um die Truppe steht.

Sanitz in Mecklenburg-Vorpommern, 25 Kilometer östlich von Rostock. Unter anderem von hier aus soll Deutschland gegen Angriffe aus der Luft verteidigt werden, wenn ein aggressiver Staat eine solche Attacke tatsächlich wagen sollte. Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ist diese Gefahr nicht länger abstrakt, sie ist näher herangerückt an Deutschland. Für die nächsten vier Stunden taucht Högl ein in die Feinheiten des Flugabwehrraketensystems „Patriot“. Besuch bei der Flugabwehrraketengruppe 21. Voraussetzung für eine Flugabwehr: ausreichend Material und Gerät. Dazu müsste beides allerdings auch im Land sein und funktionieren. Damit ist Högl beim Thema. Der Mangel ist einer der stärksten Ausrüster der Bundeswehr.

Aber erst einmal guckt die Wehrbeauftragte durch Gebäude des Flarak-Verbandes. Sieht alles nicht so schlecht aus. Gute Substanz. Kommmandeur Markus König sagt dazu trocken: „Verfügbare Infrastruktur deckt den Bedarf.“ Högl, die „heute hier zu Ihrer Unterstützung ist“, wie sie den Soldatinnen und Soldaten sagt, hört den Bericht zur Bausubstanz der Kaserne gerne. „Als Wehrbeauftragte freue ich mich sehr. Wir können da den Haken dranmachen.“ Wenigstens hier in Sanitz. Eine gute Nachricht bei vielen Meldungen über Kasernen, die wahrlich keine neuen Bewerberinnen und Bewerber für die Bundeswehr anlocken.

Zeitenwende heißt auch 13 Monate nach der Ankündigung eines Sondervermögens Bundeswehr durch Bundeskanzler Olaf Scholz, dass von den angekündigten 100 Milliarden Euro bislang bei der Truppe kaum etwas angekommen ist. Högl sagt vor den Flugabwehrspezialisten in Sanitz, „dass wir weiter von allem zu wenig haben“. Material und Gerät, das die Bundeswehr an die Ukraine abgebe, sei noch nicht wieder auf dem Hof. Das gilt auch für jenes Flugabwehrsystem „Patriot“, das Deutschland an die Ukraine zur Verteidigung ihres Landes gerade abgegeben hat. Das Wissen zur Bedienung des komplexen Systems haben sich ukrainische Soldaten in einer mehrwöchigen Ausbildung in Deutschland geholt. Sechs Tage die Woche, zwölf Stunden am Tag. Raus aus dem Kriegsgebiet, rein ins Training und dann zurück an die Front.

Zwölf „Patriot“-Staffeln gehören zum Bestand der Luftwaffe. Eigentlich. Fünf der Systeme sind aktuell zur Umrüstung bei der Industrie, drei sind in Polen, zwei in der Slowakei stationiert, ein „Patriot“-Abwehrsystem ist gerade in der Ukraine angekommen. Bleibt noch ein System übrig — dringend nötig, um Ausbildung und Routine im Inland aufrechtzuerhalten. Ist Deutschland so fähig die eigenen Landesgrenzen zu verteidigen? „Klares Nein“, sagt der Kommandeur der Flugabwehrraketengruppe, Oberstleutnant Markus König. „Ich habe im Verband kein einziges einsatzbereites System mehr zur Verteidigung.“ Högl registriert es aufmerksam. Dass die Industrie bei Nachschub, Ersatz und Instandsetzung an Tempo zugelegt habe, haben die Soldaten hier in Sanitz noch nicht feststellen können. Sie seien dafür einfach die falschen Ansprechpartner, sie hätten die Verträge mit der Industrie nicht gemacht. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte sich erst vor Wochen mit Vertretern der Industrie zusammengesetzt, um schneller an mehr Munition zu kommen. Högl sagt zur Belastung aus Einsätzen, Ausbildung, Training, Grundbetrieb: „Das ist keine Kleinigkeit für einen Verband wie Sie hier einer sind, dies alles zu wuppen.“

Die Militärs hätten gern Planungssicherheit — vor allem mit Blick auf eigene künftige Einsätze. Soll der Verband ab Sommer erneut wieder nach Polen oder die Slowakei oder sogar beides, um die Nato-Ostflanke gegen eine mögliche russische Aggression zu stärken? Wieder sechs Monate weg von Zuhause. Die Soldatinnen und Soldaten wüssten gerne, wohin die Reise geht. Högl sagt noch „Sie sind ja alle kaltstartfähig. Sie können das ja, sie üben es auch.“

Sie will schnell in Berlin klären, welcher Einsatz auf die Flugabwehrspezialisten zukommt — im Ministerium und beim Auftraggeber der Truppe, im Bundestag. Sie sagt: „Das ist jetzt ein Auftrag für uns.“ Die Soldaten sollen es glauben dürfen. Ihre parlamentarische Anwältin hat gesprochen.

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