Gesellschaftskunde Was wir aus den Feiertagen mitnehmen sollten

In diesen Tagen haben wir mehr Zeit für die Familie. Das hat die auch bitter nötig, denn die kleinste Zelle der Gesellschaft steht unter existenziellem Druck.

Heute ist also der Tag danach. Jene eigentümliche Phase im Jahreslauf hat begonnen, da einen die Melancholie anfliegt, weil das Weihnachtsfest vorüber ist, das Jahr sich neigt und überdacht werden will. Plötzlich mag man keine Plätzchen mehr, man muss das Geschenkpapier zum Container schleppen, aber vielleicht noch nicht wieder zur Arbeit gehen. Der Tannenbaum ist noch geschmückt, doch man betrachtet ihn schon wie einen Angezählten. Es herrscht eine zwielichtige Stimmung der süßen Erschöpfung an den Tagen "zwischen den Jahren", im kalendarischen Niemandsland. Die Zeit ist noch nicht wieder so verplant wie im gesamten restlichen Jahr. Das ist eine Chance. Für die Familie zum Beispiel.

Denn für das Miteinander von Eltern, Kindern, Großeltern bleibt immer weniger Zeit. Die kleinste Zelle der Gesellschaft ist unter ungesunden Druck geraten, weil von Menschen heute Flexibilität und Wandlungsfähigkeit verlangt werden, Familien aber auf Konstanz und Verlässlichkeit gebaut sind. Der Philosoph Dieter Thomä geht sogar einen Schritt weiter und diagnostiziert einen Mentalitätswandel, der Familien zuwiderläuft. "Im Kapitalismus zählt der eigene Nutzen, den man aus seinem Tun zieht", sagt Thomä, "dies liegt nun einmal quer zur Familie, in der ein unglaublicher Aufwand für andere getrieben wird." Für die Familie da zu sein, lohnt sich nicht – nach den Maßstäben, die im Berufsleben immer wichtiger werden. Weil wir in Zeiten leben, in denen Begriffe wie die "Ich-AG" möglich geworden sind, in denen gepredigt wird, dass jeder sein eigener Unternehmer ist, fühlen immer mehr Menschen, dass das Modell Familie nicht mehr in die Zeit passt.

Das ist der Grund für die hartnäckige Kinderlosigkeit der Deutschen. Nicht, dass Frauen heute Akademikerinnen sind und sich verwirklichen wollen. Die Gesellschaft ist nicht so herzlos, dass sich nicht viele Paare nach dem Glück sehnen würden, das nur Kinder schenken können. Allein es fehlt das Zutrauen ganzer Generationen, sich diese Festlegung leisten zu können. Daran sind weder Männer noch Frauen schuld, sondern die Logik des Systems. Es nützt also nichts, Akademikerinnnen mangelnde Mutterinstinkte vorzuwerfen oder modernen Männern pubertäre Verantwortungsfurcht, sie alle müssen bestehen in einer Welt, die kurzatmig geworden ist. Da werden Familienpläne eben verschoben. Auf Dauer.

Im Schutz der Feiertage aber können wir erleben, dass das, was das Leben reich macht, die menschlichen Begegnungen sind. In der Familie sitzen die Generationen mal wieder an einem Tisch, reden miteinander, zweckfrei, ohne Effizienzkalkül. Harmonie ist nicht garantiert, aber Familientreffen sind wunderbar analoge Veranstaltungen in virtuellen Zeiten. Rar geworden in unserer Gesellschaft. Das hat hohen Wert, auch wenn der nicht berechenbar ist. Das Empfinden dafür gilt es aus den Feiertagen mitzunehmen, wenn das neue Jahr mit seiner Geschäftigkeit uns wieder ablenken will von dem, was wirklich wichtig ist.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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