Pauschaltickets für die Bahn Was auf das Neun-Euro-Ticket folgen könnte

Meinung | Düsseldorf · Analyse Der Bundesverband der Verbraucherzentralen hat eine Nachfolge-Angebot gefordert – und sogar schon einen Preis genannt. Dabei müsste zunächst einmal diskutiert werden, welche Subventionen der öffentliche Nahverkehr wirklich braucht.

 Menschen drängen am Bahnsteig in Travemünde in einen Zug.

Menschen drängen am Bahnsteig in Travemünde in einen Zug.

Foto: dpa/Thomas Müller

Eine günstige Monatskarte für ganz Deutschland, das kommt bisher gut an: mehr als 16 Millionen 9-Euro-Tickets hat die Bahn bereits verkauft, mehr als eine Million allein in Berlin. Gerade in Ballungszentren mit gut ausgebautem Streckensystem ist das Ticket attraktiv. Ob die Begeisterung anhält, zeigt sich in diesen Tagen, denn nach dem Auftakt mit viel Tamtam müssen nun neue Monatstickets gekauft werden - der Kunde zieht also erste Bilanz. Schon jetzt zeigt sich, dass vor allem auf beliebten Touristenstrecken die Auslastung enorm gestiegen ist. Das hat zu Ärger und Frust geführt wegen überfüllter Züge, Drängelei oder wenn am Abend die Fahrradmitnahme aus bestimmten Regionen nicht mehr möglich war. Andererseits geben viele der Bahn in diesen Tagen mal wieder eine Chance – und machen günstig Ausflüge. Vor allem für Menschen mit geringem Einkommen bedeutet das neue Freiheiten und Entlastung im Monatsbudget. Auch die Innenstädte füllen sich. Anscheinend lockt es Leute wieder mehr zum Bummeln ins Zentrum, wenn sie keinen Parkstress fürchten müssen. Verbraucherschützer fordern jedenfalls schon jetzt, dass es ein Nachfolge-Angebot geben sollte, wenn die 9-Euro-Zeit Ende August ausläuft. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen hat dazu auch eine erste Zahl ins Spiel gebracht: Er schlägt ein ähnliches Ticket zum Preis von 29 Euro pro Monat vor.

Damit hat die Debatte darüber begonnen, wo die preisliche Schmerzgrenze für billige Monatstickets liegt. Dabei müsste erst einmal die viel grundsätzlichere Frage geklärt werden, ob pauschale Günstigtickets für das ganze Land überhaupt sinnvoll sind. Denn daran gibt es Zweifel.

Mit dem 9-Euro-Ticket an die Nordsee - Ansturm auf Sylt
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Foto: dpa/Axel Heimken

Verkehrsexperten haben jedenfalls schon vor dem 9-Euro-Experiment gemahnt, dass Investitionen in das Angebot der Bahn wichtiger wären als Subventionen für billige Tickets. Und dabei bleiben sie auch nach einem Monat Feldtest. „Es ist gut, wenn der Zugang zum ÖPNV einfach und unkompliziert ist“, sagt etwa Philipp Kosok von der Berliner Agora Verkehrswende. Doch niedrige Preise kosteten viel staatliches Geld. Die drei Sommermonate werden mit 2,5 Milliarden Euro subventioniert. „Das Geld wird dringender gebraucht, um das Angebot von Bus und Bahn weiter auszubauen und damit den öffentlichen Nahverkehr auch in ländlichen Regionen attraktiv zu machen“, sagt Kosok. Das Angebot bisher sei für die meisten Menschen keine Alternative zum eigenen Auto. Der Bund müsse seine Zuwendungen für die Infrastruktur dauerhaft und deutlich aufstocken – und stark verbilligte Tickets vor allem für Menschen mit geringem Einkommen anbieten.

Auch der Verkehrsexperte Christian Böttger, Professor an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft, hält subventionierte Pauschaltickets für den falschen Weg. „Die ersten Daten zum 9-Euro-Ticket zeigen, dass vor allem mehr Verkehr erzeugt wurde, aber nicht die erhoffte Verlagerung von der Straße auf die Schiene gelungen ist“, sagt Böttger. Die Schiene mache nur zehn Prozent des Gesamtverkehrsvolumens aus. Wenn nun durch die deutschlandweit gültigen Billigtickets auf der Schiene dreißig Prozent mehr Verkehr erzeugt wurde, ändere das an dem für die Umwelt bedenklich geringen Schienenanteil erst mal nichts. Die bestehenden Tarifsysteme hätten dagegen auch eine Lenkungsfunktion. Die habe man für den Sommer außer Kraft gesetzt, was zu den bekannten Überlastungen auf beliebten Strecken geführt und eine Menge Geld gekostet habe.

„Leider ist dieses Ticket holterdiepolter eingeführt worden, ohne Expertenrat einzuholen“, sagt Böttger. Auch er hätte Investitionen in die Infrastruktur sinnvoller gefunden. Darum ist Böttger auch skeptisch, was die Fortführung von Billigangeboten angeht. „Wenn ein ähnliches Angebot auch für die Wintermonate kommt, finanzieren wir mit Steuergeldern, dass Skitouristen billig in die Alpen kommen, statt das Geld in Sanierung und Ausbau des Systems zu stecken.“ Der Ticketpreis sei für die Verbraucherentscheidung nicht der maßgebliche Faktor, die Bahn müsse ihr Angebot verbessern und benötige dafür Geld, das nicht in falsche Subventionen fließen solle.

Wenn die Verkehrswende also das Ziel ist, müsste das 9-Euro-Ticket eine Art Motivationsspritze zum Bahnfahren gewesen sein. Teuer, aber endlich. Abgelöst werden müsste es durch ein sozial gestaffeltes Ticket mit simpler Gültigkeitsstruktur ohne Tarifzonengrenzen und Anschlusstickets. Doch dürfte es politisch schwierig werden, eine Schnäppchenaktion, die in schwierigen Zeiten für gute Laune und finanzielle Entlastung sorgen sollte, die also von den Verbrauchern aus gedacht wurde, durch etwas zu ersetzen, das strategisch der Verkehrswende dienen kann. Das aber wäre nötig. Und dazu müssten die Datenauswertungen aus der 9-Euro-Zeit Grundlage sein. Sonst könnte das Signal, das von einem bewegten Sommer ausgehen sollte, im Herbst schnell verhallen.

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