Gott Und Die Welt Was der Schnee im Rheinland wirklich ist

Unser Schnee ist oft ein Ärgernis und meistens wunderschön. Vor allem kommt der Schnee im Rheinland Jahr für Jahr immer überraschend.

Als ich mir neulich das Frühstück redlich mit Schneeschippen verdient zu haben glaubte, entspann sich über das gemeine Sesambrötchen hinweg ein Gespräch über den Schnee im Allgemeinen und den rheinischen Schnee im Besonderen. Dazu gab es — dies sei dramaturgisch fahrlässig vorweggenommen — keine einhellige Meinung. Aber es gab natürlich viele verschiedene Ansichten, die bei geneigter, also rheinischer Betrachtung alle ein bisschen wahr zu sein schienen. Frevelhaft wäre es darum, auch nur einen einzigen Kommentar klammheimlich zu verschweigen.

Zitieren wir also beherzt jenes Stimmengestöber, das dem Rheinländer wenigstens so lieb ist wie Kartoffelpuffer mit Rübenkraut: Schnee im Rheinland ist Chaos. Schnee im Rheinland fördert die Nachbarschaft, weil natürlich nur bis zur Grundstücksgrenze geschippt wird, während der bequeme Herr Nachbar zum schädlichen und Hundepfoten malträtierenden Streusalz greift. Unser Schnee ist ein Fluch und zugleich die Erinnerung an die unbeschwerten Tagen der eigenen Kindheit, an überschaubare Deich-Abhänge, die schon nach kurzer Zeit braungerodelt waren. Schnee im Rheinland ist natürlich unmöglich, vor allem kommt Schnee im Rheinland für alle immer überraschend: Niemand ist vorbereitet und kann es sein, so einzigartig ist dieser Schnee. Schnee im Rheinland ist also auch gefährlich, weil der Rheinländer von Natur aus ein robust überzeugter Sommerreifenfahrer ist. Unser Schnee ist zu oft auch viel zu viel und meist doch zu wenig; ohnehin wird der Schnee im Rheinland alsbald matschig, und am nächsten Tag ist er sowieso gleich wieder verschwunden. Das heißt, besonders an Werktagen bleibt das weiße Zeug viel zu lange liegen, weil es offenkundig wohl an Streumitteln oder an Streufahrzeugen fehlt, die aber — typisch, typisch — immer dann auf der Straße sind, wenn man gerade selbst unterwegs ist und es ausnahmsweise einmal eilig hat. Schneefahrzeuge sind der natürliche Feind des Rheinländers; ein noch größerer sind nur noch die unzähligen Futterrübentransporter im Herbst. Der Schnee im Rheinland ist pure Poesie, und wenn er auf den stummen und alten Kopfweiden glitzert, wird das Rheinvorland zur Zuckerbäcker-Landschaft. Unter dem Schnee träumt das Rheinland seine uralten Träume, und wer genau hinhört, wird Geschichten von sehr eigenwilligen Menschen hören.

Und wenn es diesen manchmal lästigen, doch unablässig prächtig glitzernden Schnee nicht schon längere Zeit gäbe, er müsste glattweg erfunden werden.

Selbstredend von einem waschechten Rheinländer.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP/felt)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort