Warum lässt Gott so etwas zu? Hilft Beten?

Interview Münchens Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx, zur Japan-Katastrophe

Das Motto für den Papst-Besuch in Deutschland lautet: Wo Gott ist, da ist Zukunft. Wie mag das in den Ohren derjenigen klingen, die im Angesicht der Japan-Katastrophe an einem gerechten Gott verzweifeln?

Marx Die schreckliche Katastrophe in Japan ist für die Menschen auch eine Prüfung des Glaubens: für die unmittelbar Betroffenen in dem von Erdbeben, Tsunami und einer unabschätzbaren Atomkatastrophe heimgesuchten Land, aber auch für die Menschen bei uns, die die Bilder und Nachrichten aus Japan in den Medien sehen. Wir Christen glauben an einen Gott, der sich selbst in das Leid dieser Welt hineinbegeben hat. Er ist am Kreuz für uns alle gestorben. Keine andere Religion bringt Leiden, Schmerz und Angst des Menschen so nahe in die Wirklichkeit Gottes hinein wie der christliche Glaube.

Andere könnten einwenden, Gott sei das Leiden anscheinend egal.

Marx Diesem Gott ist es nicht egal, was mit dem Menschen passiert, unser Glaube sagt uns: Auch für die Opfer gibt es Gerechtigkeit und Sühne. Ich weiß, dass das keine einfache Antwort ist. Aber der Blick auf den Gekreuzigten ist für mich die einzige Hoffnung, damit Leid und Tod nicht das letzte Wort behalten.

Vor Kurzem sagte eine überzeugte Katholikin fast resignierend: "Von wegen Gottes Schöpfung. Die Natur macht, was sie will." Warum schützt Gott seine Schöpfung nicht vor einer Katastrophen-Trias wie der in Japan?

Marx Diese Frage begleitet auch mich schon mein ganzes Leben als gläubiger Mensch. Und auch ich habe darauf keine letzte Antwort. Ich weiß aber, dass wir als Menschen auch nicht einfach einen Anspruch darauf haben, alles zu verstehen. Das gilt nicht nur im Blick auf die Bilder von Katastrophen wie in Japan oder vor einem Jahr in Haiti. Oftmals können wir auch einzelne Lebensschicksale nicht begreifen, warum jemand von einer schweren Krankheit getroffen wird, warum jemand früher oder später stirbt. Der Schöpfung und damit auch unserem Leben sind Grenzen gesetzt. Die Natur ist nicht vollkommen, sonst gäbe es keinen Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf.

Oft heißt es: "Da hilft nur beten." Warum hat Gott das Flehen von Menschen nicht erhört, dem gewaltigen Erdbeben nicht auch noch einen todbringenden Tsunami folgen zu lassen? Wie hilft Beten?

Marx Jeder Betende kann erleben, dass Gebete auch erhört werden. Aber das Gebet kann man sich nicht vorstellen wie einen Automaten, der uns Wünsche einfach erfüllt. Das Gebet hilft uns, weil wir das, was uns bedrückt, ohne Wenn und Aber aussprechen können, und zwar nicht ins Leere hinein, sondern einem Du gegenüber, das uns auch manchmal verborgen und fremd vorkommt.

Kann man beten und anklagen zugleich?

Marx Zum Gebet gehört auch die Klage, der Schrei der Ohnmacht, ja sogar die immer wieder gestellte Frage: Warum? Wir vertrauen darauf, dass unser Gebet nicht unerhört bleibt, aber nicht immer können wir Gottes Wege verstehen. Diese Spannung lässt sich nicht auflösen. Aber all unsere ungelösten Fragen, unser Zweifel und auch unsere Klage gehören ins Gebet und können so von Gott her Kräfte in uns mobilisieren gegen die Hoffnungslosigkeit.

(RP)
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