Kolumne Gesellschaftskunde Warum Freiheitskämpfe oft in Parks beginnen

Die aktuellen Proteste in der Türkei sind nur jüngstes Beispiel für Bürgerbewegungen, die mit dem Kampf um Naturgebiete begannen. Das ist keine grüne Spinnerei – Bäume sind das beste Symbol für den Kampf um Freiheit und Zukunft.

Die aktuellen Proteste in der Türkei sind nur jüngstes Beispiel für Bürgerbewegungen, die mit dem Kampf um Naturgebiete begannen. Das ist keine grüne Spinnerei — Bäume sind das beste Symbol für den Kampf um Freiheit und Zukunft.

Der Kampf für Freiheit und bürgerliche Rechte beginnt in der jüngeren Geschichte oft mit der Verteidigung von — Bäumen. Als die Proteste in der DDR 1989 ihren Anfang nahmen, ging es in Leipzig auch um ein Grüngebiet an der Pleiße. "Sägt die Bonzen ab — nicht die Bäume", skandierten die Menschen damals. In Stuttgart brachte das drohende Abholzen alter Platanen, Pappeln und Eichen die Bürger erst so richtig gegen den geplanten Bahnhofsneubau auf. Jetzt löst ein kleiner Park in Istanbul Massenproteste gegen die konservative Regierung Erdogan aus. Der letzte Grünstreifen am Taksim-Platz soll einem Einkaufszentrum weichen. Und als die Polizei die Naturschützer mit Tränengas und Wasserwerfern aus dem Park spülen wollte, kämpften plötzlich Bürger aller Schichten an ihrer Seite.

Baum gegen Bulldozer, machtlose Natur gegen skrupellose Staatsmacht — das Symbol ist so einfach wie wirksam und entfesselt Widerstand. Fest verwurzelt in der Erde steht der Baum als Zeichen da. Er ist Symbol für die Vergangenheit, ist er doch länger gewachsen als Pläne für Bahnhöfe oder Einkaufszentren, die nur kurzfristig Gewinne bringen sollen. Genauso steht der Baum für Zukunft, weil er den Menschen mit guter Luft zum Atmen versorgt, den Grund unter seinen Füßen vor Erosion schützt, sich tapfer gegen all die Zumutungen der ausbeuterischen Moderne stemmt.

Der Baum ist der Lebensspender schlechthin — mächtig in Gestalt, doch ohnmächtig bei der eigenen Verteidigung. Das weckt Schutzinstinkte. Und es macht den Baum zum Verbündeten von Bürgern, die ebenfalls eine starke Gruppe bilden, sich oft aber ohnmächtig fühlen. Bis sie sich formieren, Masse werden, die Stimme erheben und plötzlich hören, wie gewaltig ein Chor klingt.

Doch die Verteidigung von Bäumen hat wohl auch deswegen mobilisierende Kraft, weil sie zu schützen ein eindeutiges Ziel ist. Bäume sind nicht manipulierbar, sie wenden sich am Ende nicht plötzlich gegen ihre Retter, verfolgen auch nicht heimlich eigene Interessen. Darum sind sie ein geeignetes Objekt für junge Bewegungen, die sich noch finden, um die inneren Machtverhältnisse noch ringen müssen.

Ein unschuldiger Garten wie der Park am Taksim-Platz ist das kleine Paradies, für das Menschen kämpfen, weil sie um die Freiheit in dem größeren Garten, in ihrer Heimat Türkei fürchten. Darum macht es Bürger wütend, wenn Bäumen Zwang angetan wird, wenn Lebensadern durchschnitten werden, verwurzelte, gewachsene Geschichte gekappt wird. Der Protest dagegen ist nicht naiv. Er wählt ein taugliches Symbol für den Kampf um die Zukunft.

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