Kolumne Gesellschaftskunde Warum es gut ist, Vorsätze zu fassen

Viele Menschen haben sich von dem Brauch verabschiedet, sich etwas für das neue Jahr vorzunehmen. Was zunächst nach Gelassenheit klingt, ist vielmehr Ausdruck von Bequemlichkeit, Unwille, vielleicht sogar Angst, sich mit dem eigenen Leben zu beschäftigen.

Die ganz Cleveren haben sich einfach nichts vorgenommen für das neue Jahr. Entspannt blicken sie auf die nächsten Monate, lassen 2014 einfach beginnen — nur kein Stress mit falschen Erwartungen. Inzwischen raten ja sogar Experten der Lebenshilfe dazu, lieber gar keine Vorhabenspakete zu schnüren. Totale Vorsatz-Askese beugt jeder Enttäuschung vor.

Eigentlich aber doch schade, die Chance, die in jeder Zäsur liegt, nicht zu nutzen, den Rhythmus, den das Jahr unserem Leben vorgibt, einfach zu überspielen. Stecken dahinter wirklich Gelassenheit, psychologischer Selbstschutz oder nicht viel mehr Bequemlichkeit, Unwille, vielleicht sogar Angst, sich mit dem eigenen Leben zu beschäftigen, wahrzunehmen, wovon der alltägliche Trott so wunderbar ablenkt? Natürlich ist es leichter, über die Vorsatzfasser gönnerhaft zu lächeln und sich selbst ein Geht-halt-weiter-so zu genehmigen. Das macht aber nur an der Oberfläche zufrieden. Denn auch wenn man lieber nicht bewusst wahrnimmt, was da so in einem rumort, was man im anstehenden Jahr anders angehen könnte, so rumort es doch. Nur eben unerkannt.

Wer davor warnt, Vorsätze für das nächste Jahr zu fassen, hat wohl auch eine falsche Vorstellung von Selbstreflexion. Wenn schon Augustinus schrieb, dass zur Menschwerdung auch der Weg nach innen gehört, das "Erkenne dich selbst", dann ist das keine Drohung. Denn dazu gehört auch ein zweiter Grundsatz, das: "Liebe dich selbst". Es geht beim Jahreswechsel-Resümieren also nicht darum, sich auch noch selbst seine Verfehlungen vorzuhalten, Leistungsbilanz zu ziehen, nach Steigerungspotenzial zu fahnden. Diese Spielchen sollen Abteilungsleitern überlassen bleiben. Es geht darum, sich selbst überhaupt wahrzunehmen, sich wohlwollend zu betrachten, anzuerkennen, was man da sieht, das Gute wie das Schlechte. So wie man vielleicht ein Kind wahrnimmt, seine Wünsche und Ängste erst mal anhört, ohne gleich zu urteilen, lieber erst mal überlegt, wie ihm zu helfen sei.

Wer aus diesem Geist heraus auf das neue Jahr blickt, wird keine Vorsätze fassen, die ihn überfordern. Denn er wird eben nicht zu den anderen schielen, sich aus Neid oder Minderwertigkeit irgendwelche Ziele verordnen, die nicht zu erfüllen sind. Wer Vorsätze fasst, indem er gutmütig auf sich selbst blickt, wird bei Beziehungen landen, die ihm etwas bedeuten, trotzdem aber nur oberflächliche Aufmerksamkeit abbekommen. Oder bei Angewohnheiten, die manchmal auf Kritik stoßen, und vielleicht zu überdenken wären. Es ist nicht schädlich, über solche Dinge nachzudenken. Der Jahresbeginn ist seit jeher die beste Zeit dafür.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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