Düsseldorf Warum Merkel Großbritannien gegen Frankreich braucht

Düsseldorf · Ein britischer Kolumnist verglich dieser Tage die Beziehung zwischen David Cameron und Angela Merkel mit dem Liebespaar Siegfried und Brünnhilde. Ein furchtloser Held erobert seine Angebetete im Sturm - so konnte es tatsächlich wirken, als Cameron die Bundeskanzlerin im Februar zu einer Rede vor beiden Kammern des britischen Parlaments einlud und Merkel sich kurz darauf mit einem privaten Wochenende auf Schloss Meseberg bei Berlin revanchierte. Mit dem ungestümen Cameron kann Merkel persönlich offenbar viel besser als mit dem steifen Franzosen François Hollande. Aber ein Wagner'sches Liebepaar sind die beiden deswegen noch lange nicht. Spätestens der soeben ausgebrochene Streit über die von Cameron auf der Insel geplante Einschränkung der Freizügigkeit für EU-Bürger hat klargemacht, dass Merkel vor allem eines ist: eine Realpolitikerin in bester britischer Tradition.

Dabei sind die Warnungen der Kanzlerin an Cameron, es mit den Absetzbewegungen von der EU nicht zu weit zu treiben, durchaus von Sorge getrieben. Denn mit einem britischen EU-Austritt verlöre Deutschland einen wichtigen Partner in Reformfragen. Großbritannien, das ebenso wie Deutschland grundsätzlich auf Globalisierung und Wettbewerbsfähigkeit setzt, ist für Merkel ein überaus nützlicher ideologischer Verbündeter gegenüber dem linksregierten Frankreich, das unter Präsident Hollande bis vor Kurzem dezidiert auf Abschottung sowie auf Pump finanzierte Konjunkturprogramme setzte und sich bis heute extrem schwertut mit ernsthaften Reformmaßnahmen.

Großbritannien hat dagegen hart gespart und ist gemeinsam mit den übrigen finanziell soliden "Nordländern" in der EU wie Finnland, den Niederlanden, Schweden oder auch Österreich Mitglied eines informellen Bündnisses, das sich übereilten Wünschen der von Frankreich und Italien angeführten "Südländer" nach einer Lockerung der Sparpolitik entgegenstemmt.

Cameron übernimmt bei diesen Bemühungen gerne den Part des Polterers, der in seiner Heimat besonders gut ankommt. So ließ Merkel ihren konservativen Kollegen bei den EU-Haushaltsverhandlungen zu Jahresbeginn mit seinen Maximalforderungen immer wieder vorpreschen. Zwar konnte sich der Brite nicht komplett durchsetzen, aber mit Rückendeckung der Kanzlerin sorgte Camerons Vorstoß dafür, dass die EU erstmals in ihrer Geschichte ihren Finanzrahmen nicht ausweitete, sondern kräftig kürzte. Folge: Die anglo-germanische Spar-allianz nutzt auch Deutschland als größtem Nettozahler der EU.

Solche gemeinsam geschlagenen Schlachten nährten in London zeitweilig die Hoffnung, Siegfried habe seine Brünnhilde endgültig eingewickelt. Aber Merkel blieb auf vorsichtiger Distanz. Zwar signalisierte sie Cameron gegenüber Unterstützung für dessen Forderungen nach mehr Wettbewerb und weniger Bürokratie in Europa. Aber während der Brite verlangt, dass ganze Kompetenzfelder an die Nationalstaaten zurückgehen, wirbt die Deutsche für mehr europäische Integration etwa in der Wirtschaftspolitik.

Es ist ein Eiertanz: Merkel will Cameron so weit wie möglich entgegenkommen, um die Briten in der EU zu halten. Die sind zwar nicht in der Euro-Zone. Aber ein britischer EU-Austritt, so die Sorge in Berlin, könnte weitere Länder aus dem Verbund brechen und die Währungsunion schließlich zerbröseln lassen.

(RP)
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