Wähler in Ägypten enttäuscht und ratlos

Kairo Bis zum Schluss ist Amal Ibrahim unentschieden, wem sie ihre Stimme geben soll. Doch wählen will die 32-jährige Ägypterin. "Seit ich geboren bin, gab es nur Mubarak und sonst nichts", begründete sie gestern ihr Schlangestehen für die Stichwahl der beiden Kandidaten, die aus dem ersten Wahldurchgang vor drei Wochen als Sieger hervorgegangen sind. In der Frauenschlange vor dem Wahllokal in der Pyramidenstraße im Kairoer Stadtteil Giza wird heftig diskutiert. Viele sind noch unsicher, fragen nach dem Wahlverhalten anderer: "Mursi oder Shafik?", hört man allenthalben flüstern.

Das Ergebnis dürfte frühestens heute feststehen. Beobachter vermuten, dass die Nichtwähler und diejenigen, die ihre Stimmzettel aus Protest ungültig gemacht haben, die stärkste Kraft sein werden.

Denn die Wahl zwischen Mohamed Mursi und Ahmed Shafik ist wie die Wahl zwischen dem Teufel und dem Belzebub, wie Amal es nennt. Denn der erste ist ein islamistischer Hardliner, der sich im Wahlkampf zwar gezähmt gab, aber von vielen liberal Gesinnten als "Wolf im Schafspelz" bezeichnet wird. Der andere ist ein Gefolgsmann Mubaraks, Ex-General und letzter Premierminister des alten Regimes. "Mit ihm werden wir keine Veränderung bekommen, die Revolution war umsonst", meint die Nachbarin in der Schlange mit Amal. Eine andere Frau sagt, dass es sowieso egal sei, wer gewählt werde. "Die Militärs haben doch beide Kandidaten fest im Griff."

Dass der seit dem Sturz Mubaraks regierende Militärrat die Fäden in der Hand behalten will, hat das Urteil des Verfassungsgericht am Donnerstag gezeigt: Auf der einen Seite hat das Gericht Ahmed Shafik zur Präsidentenwahl zugelassen, andererseits aber die Wahl des Parlaments für ungültig erklärt. Es sei ja noch nicht gesagt, ob das Parlament tatsächlich aufgelöst werde, meint der Fernsehjournalist Zafer Kamal, der gerade vor dem Wahllokal dreht. In Ägypten sei das Urteil eine Sache, seine Vollstreckung eine andere. Doch halte man sich die Option offen, je nachdem wie die Stichwahl ausgeht.

Gewinnt Shafik, werde das Parlament wohl nicht aufgelöst, vermutet Kamal. Gewinnt Mursi, könnte dies der Fall sein, um eine Machtkonzentration der Islamisten zu verhindern. Wer auch immer gewinnt, er steht allein: Es gibt noch keine Verfassung, die die Rechte und Pflichten eines Präsidenten regelt. Das Parlament, bis jetzt die einzige frei gewählte Institution, steht vor der Auflösung. Der künftige Präsident ist also ganz auf den Militärrat angewiesen. Das gab es nicht einmal zu den düstersten Zeiten Mubaraks. Hinzu kommt, dass der Justizminister soeben ein Dekret unterzeichnet hat, wonach die Militärpolizei Demonstranten ohne Auflagen festnehmen darf.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort