Analyse Wachsende Nervosität in der Union

Berlin · Die Anti-Euro-Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) ist im Aufwind. Die CDU-Fraktionschefs von Hessen, Thüringen und Sachsen warnen Angela Merkel in einem Brandbrief vor dem Verlust wahlentscheidender Stimmen.

Ignorieren oder Diffamieren — diese Linie verfolgen die Parteispitzen von CDU und CSU bisher, wenn es um die neue Anti-Euro-Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) geht. Ein paar inhaltsleere Worte von CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe, ein paar mahnende Sätze von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble — mehr ist von den Unionsspitzen bisher nicht zu hören zur AfD. Allenfalls Unterstellungen scheinen in ihr Kalkül zu passen: In einem vor Wochen eilig zusammengestellten Papier mutmaßte die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung, die AfD werde finanziell vom greisen Milliardär und Mövenpick-Miteigentümer August von Finck unterstützt. Ebenso wie die FDP oder der "Bund Freier Bürger", der in den 90er Jahren ebenfalls gegen den Euro trommelte. Für ihre Behauptung hatte die Stiftung allerdings keine Beweise.

Das Ausbleiben einer echten inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Argumenten der AfD beunruhigt mittlerweile viele in der CDU. In einem Brandbrief an die Parteivorsitzende Angela Merkel und Generalsekretär Gröhe fordern die CDU-Fraktionsvorsitzenden von Hessen, Thüringen und Sachsen, Christean Wagner, Mike Mohring und Steffen Flath, die Spitzen auf, die AfD endlich ernster zu nehmen. "Die Gründung der AfD ist eine Herausforderung für die Union", schreiben die drei Landespolitiker. Die Forderungen der AfD mögen überzogen, kritikwürdig oder substanzlos sein. "Notwendig ist aber eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Programmatik der AfD und den hieraus folgenden Konsequenzen."

Auch den CDU-Innenpolitiker und Euro-Dissidenten Wolfgang Bosbach regt der von oben offenbar vorgegebene Kurs des Totschweigens der konservativen Konkurrenzpartei auf. "Zu denken, dass keiner über die AfD redet, wenn nur wir nicht über sie reden, ist ein Trugschluss", sagt Bosbach. Die CDU müsse die Euro-Skeptiker unter den Wählern "abholen mit sachlichen Argumenten". Das wichtigste politische Argument, mit dem die Union gegen die AfD antreten sollte, liefern die drei Fraktionsvorsitzenden in ihrem Schreiben gleich mit: Die Union solle all denen, die mit dem Gedanken spielen, bei der Wahl am 22. September lieber AfD als CDU und CSU zu wählen, aufzeigen, wie kontraproduktiv das wäre: "Ein signifikanter Verlust von Stimmen an die AfD verhilft möglicherweise SPD und Grünen zur Regierung und führt die Bundesrepublik direkt auf den unheilvollen Weg in eine europäische Transferunion", schreiben die drei Landespolitiker. "Die AfD würde dadurch wiederum genau jene unerwünschten Entwicklungen befördern, die ihre Wählerinnen und Wähler zu verhindern suchen." Gemeint ist etwa die Einführung gemeinsamer Staatsanleihen, die mit deutschem Steuerzahlergeld abgesichert würden.

Auch mit ökonomischen Argumenten wider die D-Mark und für den Euro hält sich die Union bisher zurück. Sie setzt sich damit dem Verdacht aus, selbst zu wenig an die Überzeugungskraft der Pro-Euro-Argumente zu glauben. Einer wie der CDU-Wirtschaftspolitiker Michael Fuchs jedenfalls findet sich in der Union einsam auf weiter Flur. "Die exportgetriebene Industrienation Deutschland hat vom Euro profitiert wie kein anderes Land", predigt Fuchs. Der Euro habe den innereuropäischen Handel vereinfacht, verbilligt und stabilisiert. Zwar sei der Exportanteil in die Euro-Länder mit dem Euro nicht signifikant gestiegen, doch wäre er ohne ihn deutlich gesunken — weil sich die deutsche Wirtschaft stark auf die Wachstumsregionen Asiens, Osteuropas und Amerikas konzentriert hatte. Würde die D-Mark wieder eingeführt, würde zudem die deutsche Währung unweigerlich drastisch gegenüber dem US-Dollar aufgewertet. Die Preise für deutsche Produkte im Ausland würden mit einem Schlag erheblich steigen — die Unternehmen müssten Arbeitsplätze abbauen, um Kosten zu reduzieren.

Die Kritiker der bisherigen Unionsstrategie befürchten auch, dass die AfD viele konservative Wähler anziehen könnte, die mit dem Modernisierungskurs der Kanzlerin nicht zufrieden sind. Angela Merkel hat die CDU deutlich nach links gerückt — weil sich die Mitte der Gesellschaft ebenfalls nach links bewegt hat und weil Merkel mit viel Erfolg der Konkurrenz von SPD und Grünen ein Thema nach dem anderen abnimmt. Atomausstieg, das Ende der Wehrpflicht, der jüngste Kursschwenk bei der gesetzlichen Frauenquote — und neuerdings auch die Lockerungsübungen der Union bei der Homo-Ehe könnten konservative Wähler abschrecken.

Ins Wahlprogramm, in dem die Familienpolitik eines der Hauptthemen werden soll, wollen CDU/CSU denn auch die Gleichstellung eingetragener gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften beim Ehegattensplitting nicht aufnehmen. Die steuerliche Gleichbehandlung der Homo-Ehen stößt vor allem in der CSU auf Widerstand, und so einigte sich Merkel mit CSU-Chef Horst Seehofer vergangene Woche darauf, dieses Detail lieber auszusparen. Dabei weiß Merkel ebenso wie Seehofer, dass im Sommer ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu erwarten ist, das jeder Bundesregierung nach der Wahl die Gleichstellung vorgeben dürfte.

Doch die Union hofft, das heikle Thema mit ihrem Konzept für ein Familiensplitting verschleiern zu können. Demnach sollen künftig alle Elternpaare einen steuerlichen Vorteil erhalten — egal, ob sie verheiratet sind oder nicht. Verheiratete Eltern würden doppelt profitieren, weil die Union das Ehegattensplitting unverändert erhalten will. Ob später auch eingetragene Lebenspartnerschaften mit Kindern doppelt profitieren sollen, blendet die Union aus.

In Umfragen erreicht die AfD seit einiger Zeit stabile zwei bis drei Prozent. Es könnten genau die Prozentpunkte sein, die Union und FDP am Ende fehlen, um erneut die Regierung zu stellen.

(mar)
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