Libyen Vom Schlepper zum Retter

Sabratha · Der libysche Warlord Ahmed Dabaschi kassiert dafür, dass er Flüchtlinge von der Überfahrt nach Europa abhält.

Sie nennen ihn al Ammu, den Onkel. Als er vor Jahren noch auf der Suche nach Gelegenheitsjobs auf dem Markt von Sabratha herumlungerte, fragte Ahmed Dabaschi stets: "Onkel, hast du mal eine Zigarette?" Der Spruch wurde zu seinem Spitznamen. Sonst hat Dabaschi kaum noch etwas mit dem kleinen Jungen von damals gemein. Der Libyer ist einer der berüchtigten Schlepperbosse, die an der Küste Libyens operieren. Inzwischen schicken Dabaschi und seine Söldner die Flüchtlinge aber nicht mehr aufs Meer, sondern halten sie von der Überfahrt ab.

Noch am 1. Juni veröffentlichten Experten des UN-Sicherheitsrates einen Bericht über die Lage in Libyen, in dem auch von Dabaschi die Rede ist. Auf Seite 63, Ziffer 258, wird er namentlich als einer der aktivsten Menschenhändler an der libyschen Küste aufgeführt. In den vergangenen drei Monaten haben Dabaschi (und mit ihm vielleicht auch andere Milizenführer) eine erstaunliche Läuterung durchgemacht. Vom international gesuchten Schlepperkönig wurde der 35-Jährige zu einem der wichtigsten Verbündeten Italiens und damit auch der EU.

Nach übereinstimmenden Berichten und Zeugenaussagen ist Dabaschi heute derjenige, der mit seinen Söldnern die zentrale Mittelmeerroute und damit die Überfahrten von Flüchtlingen nach Italien de facto blockiert. Statt Flüchtlinge aus der Gegend um Sabratha über das Meer zu schicken und dafür zu kassieren, halten Dabaschi und seine Leute nun die Hand dafür auf, dass sie die Migranten von der Überfahrt abhalten. Viel deutet darauf hin, dass das Geld für Dabaschi letzten Endes aus Europa fließt.

Den gesamten August über kamen nur noch 3892 Menschen von Libyen über das Mittelmeer nach Italien, im August 2016 waren es noch 21.294 Migranten. Auch die Daten von September (wenige Hundert Migranten) weichen stark von der im Spätsommer wegen milder Wetterbedingungen üblichen Zahl an Überfahrten ab.

Der Hauptgrund für den Rückgang ist nicht etwa die erfolgreiche Arbeit der libyschen Küstenwache, sondern Dabaschis Seitenwechsel infolge eines für ihn lukrativen Deals. Bislang legten die meisten Flüchtlingsboote aus der Gegend um Sabratha ab, 70 Kilometer westlich von Tripolis. Jetzt herrscht Flaute. Zunächst hatte die Nachrichtenagentur Reuters Ende August über Dabaschis Rolle berichtet, jetzt bestätigte der "Corriere della Sera" die Informationen: Der "berühmteste Bandit der Region" verhandle mit den Regierungen in Tripolis und in Rom.

Dabaschi, den Fotografen bisher nicht vor die Linse bekommen haben, soll heute bis zu 500 Männer kommandieren. Seine Miliz betätigte sich zunächst im Schmuggelgeschäft mit Drogen und Erdöl und ist seit einigen Jahren auch für "Sicherheitsdienste" gefragt. Seit 2015 bewacht die von ihm angeführte und nach einem Cousin benannte "Brigade Anas Dabaschi" oder "Ammu-Brigade" die westlich von Sabratha gelegene Öl- und Gasraffinerie Mellitah, die von der libyschen Ölgesellschaft zusammen mit dem italienischen Energiekonzern Eni betrieben wird. Seither steht Dabaschi in Kontakt mit dem italienischen Geheimdienst. Eine zweite Miliz mit dem Namen "Brigade 48" wird von seinem Bruder befehligt.

Internationale Beobachter und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen bestätigen Dabaschis Seitenwechsel vom Schlepper zum Retter. Fünf bis zehn Millionen Euro sei Rom diese Leistung bislang wert gewesen, zitiert der "Corriere della Sera" eine anonyme Polizei- und Geheimdienstquelle in Libyen. Die italienische Regierung dementiert das Bestehen eines Abkommens mit dem ehemaligen Schlepper.

Eine zentrale Rolle bei den Vorgängen dürfte die international anerkannte, aber schwache Einheitsregierung von Fajes al Sarradsch spielen, die von Italien und der EU direkt finanziert wird. Offenbar versucht al Sarradsch, aus den Milizen eine Nationalgarde aufzubauen, die ihm zu mehr Einfluss in Libyen verhelfen würde. Die Milizen fordern außer Geld auch Straffreiheit und ihre offizielle Anerkennung.

Welche Folgen Dabaschis Aktivitäten haben, ist nur teilweise abzusehen. Die nun in Libyen strandenden Migranten werden nach Berichten internationaler Hilfsorganisationen in menschenunwürdige Sammellager gepfercht. Zudem verfügt der Schlepperkönig und Milizenführer Dabaschi über ein enormes Druckmittel gegenüber Italien und der EU: Wenn er es sich anders überlegt, nimmt die Zahl der Überfahrten nach Europa von einem auf den anderen Tag wieder zu.

(RP)
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