Volksentscheid in der Schweiz Mobbing und Schikanen vor allem gegen Deutsche

Ravensburg · Das Schweiz hat sich entschieden: Per Volksentscheid wollen die Eidgenossen erzwingen, dass der Zuzug von Einwanderern in das Land reglementiert wird. Schon heute berichten viele zugezogene Ausländer über Mobbing. Ein Bericht aus der Sicht eines Deutschen, der die Schweiz gut kennt.

Aus diesen Ländern kommen die meisten Einwanderer
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Aus diesen Ländern kommen die meisten Einwanderer

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Foto: Caro / Oberhaeuser

Als am Sonntag die Nachricht vom Abstimmungsergebnis über den Bodensee gelangte, kamen auch bald einige Anrufe aus der Schweiz. Es waren Freunde dran, noch unter Schockstarre, die die Welt und ihre Landsleute nicht mehr verstanden. Ähnlich wie den meisten Politikern, vielen Journalisten und Vertretern der Wirtschaftsverbände war ihnen gerade bewusst geworden, dass all das Reden, Balzen und Werben um eine weltoffene Schweiz offenbar vergeblich gewesen war.

Die Freunde brauchten jetzt Zuspruch, so wie sie mir in zehn Jahren in der Schweiz oft zugesprochen und über ihre Landsleute den Kopf geschüttelt hatten. Dann riefen auch noch Schweizer Medien an, die gerne eine Stellungnahme hätten von einem, der es lange bei ihnen ausgehalten hat, und trotz guter Stelle und guter Freunde aus freien Stücken ging.

"Überrascht hat es mich nicht"

Ich hatte am Sonntag auf ein anderes Ergebnis gehofft. Überrascht hat es mich nicht, was dann kam.

Jetzt über die Schweiz herzufallen, das Land zu kritisieren und seine Bewohner als Hinterwäldler zu bezeichnen, weltabgewandt und irgendwie tumb, wäre zu einfach. Immerhin hat die knappe Hälfte der Wähler für eine weltoffene Schweiz gestimmt. Aber trotzdem hat mehr als ein gutes Viertel der Stimmberechtigten, um es im Duktus der SVP zu sagen, gegen die "unkontrollierte Zuwanderung" votiert.

Das Abstimmungsergebnis ist wie ein Spiegel der täglichen Erfahrungen vieler EU-Ausländer in der Schweiz. Deren Arbeitskraft und Expertise sind geschätzt, wenngleich unter Konkurrenzaspekten auch nicht immer willkommen. Es gibt Vorbehalte, insbesondere gegen die Deutschen: Die seien laut, teutonisch, irgendwie nicht sehr sympathisch, auch weil viele von ihnen flüssiger Hochdeutsch sprächen als ihre Nachbarn. Resultat des allgemeinen Unbehagens gegenüber dem Fremden sind die Bevormundung und Reglementierung des Fremden. Was für Urlauber aus Deutschland, Frankreich oder Italien in der Schweiz pittoresk, niedlich oder gediegen wirken mag, ist für viele zugezogene Ausländer einengend und unfrei.

Handwerker aus Stelle gemobbt

Viele EU-Bürger, die bereits in der Schweiz leben, werden sich jetzt nicht unbedingt sicherer fühlen. Das Abstimmungsergebnis resultiert zwar nicht in einem Landesverweis. Wenn aber die wirtschaftlichen Aussichten zwischen Locarno und St. Gallen sich verdüstern, und mit diesem Ergebnis ist das mehr als wahrscheinlich, wird der Schweizer Chef bei anstehendem Personalabbau vielleicht doch eher an seinen Landsmann denken wollen.

Übrigens, später rief dann am Sonntag noch unser Freund Karl an. Der kommt aus der DDR und lebt seit Jahren als begehrter Handwerker in Zürich. Aus seiner letzten Stelle wurde er herausgemobbt, weil er ein Deutscher ist. Jetzt, in der neuen Stelle, geht es ihm besser. Aber Karl sagte, er habe regelrecht Angst, am Montag zur Arbeit zu gehen. Die Stimmung gegen ihn und andere könnte schnell kippen. Am Montagnachmittag habe ich ihn zur Sicherheit mal angerufen. Er könne jetzt nicht reden, zischte Karl, die Kollegen stünden daneben.

Der Autor ist stellvertretender Chefredakteur der "Schwäbischen Zeitung". Von 2002 bis 2012 war er Redakteur bei der "NZZ am Sonntag". Sein Essay "Nichts wie weg" über den Wegzug der Deutschen, führte zu Debatten in der Schweiz.

(RP)
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