Kiew Vitali Klitschko – der machtlose Riese

Kiew · Der ukrainische Oppositionspolitiker hätte der Protestbewegung rechtzeitig eine Richtung geben müssen. Doch dafür hatte der ehemalige Boxweltmeister zu wenig Zeit und noch weniger politische Erfahrung. Sein Einfluss schwindet.

Als die Straßenschlachten in Kiew schon wieder Dutzende neuer Todesopfer gefordert haben, da konstatiert Vitali Klitschko: "Die Situation ist außer Kontrolle geraten." In der Nacht hatten der Oppositionsführer sowie seine Mitstreiter, Ex-Außenminister Arseni Jazenjuk und der Nationalist Oleg Tjagnibok, nach Verhandlungen mit Präsident Viktor Janukowitsch einen "Waffenstillstand" verkündet. Doch die gewaltbereiten Demonstranten auf dem Unabhängigkeitsplatz ignorieren das. Am Morgen flammen die Kämpfe brutal wieder auf. Und die Bühne auf dem Maidan gehört jetzt nicht mehr Klitschko und Co., sondern einem militärisch auftretenden Mann mit kurzen Haaren: Dmitri Jarosch, der Chef der radikalen Bewegung "Rechter Sektor".

Klitschko hat recht: Die Lage ist außer Kontrolle. Die Frage ist nur, ob er sie je unter Kontrolle hatte. Selten ist im Westen um einen Politiker aus Osteuropa ein derartiger Wirbel veranstaltet worden wie um den Box-Champion. Er sollte die Galionsfigur dieser ukrainischen Euro-Revolution werden und wurde auch auf der Münchner Sicherheitskonferenz hofiert. Und er erhielt in Berlin – zusammen mit Jazenjuk – einen Termin bei Bundeskanzlerin Angela Merkel. Doch in der Ukraine ist seine Rolle viel kleiner.

Sicher, Klitschko hat das Zeug zum Helden. Der Zwei-Meter-Mann mit dem kantigen Unterkiefer hätte Modell stehen können für jede stalinistische Arbeiterstatue. Auch intellektuell ist er stark: 2000 promovierte er in Sportwissenschaften zum Thema "Sportbegabung und Talentförderung". Er hat lange in Deutschland und den USA gelebt, spricht Deutsch und Englisch fließend. Auch deshalb wird er ständig in westlichen Medien zitiert.

Mit der Sprache seines Heimatlandes hat Vitali Klitschko indes Schwierigkeiten. "Früher sprach er schlecht Ukrainisch, jetzt hat er es ein wenig gelernt", sagt der Kiewer Journalist Mykola Veresen, der Klitschko seit den 90er Jahren kennt. "Aber wenn er redet, denkt er immer auf Russisch und übersetzt es im Kopf." Das macht ihn rhetorisch unbeholfen. Bei öffentlichen Auftritten sagt er wenig, seine Stimme klingt monoton. In Interviews wiederholt er oft das Gleiche.

Seit zweieinhalb Monaten protestieren die Ukrainer gegen den pro-russischen Kurs von Viktor Janukowitsch. Zunächst sah es so aus, als könnte Klitschko einen rasanten Aufstieg hinlegen. Doch dann ließ er sich zwischen einer sturen Führung und nationalistischen Krawallbrüdern aufreiben. Er hätte der Bewegung eine Richtung geben müssen – doch dafür fehlten ihm Zeit und politische Erfahrung. "Die Krise kam vollkommen unerwartet, niemand von der Opposition hat sich darauf vorbereitet", sagt der Politologe Wladimir Fesenko.

Schon im Januar kündigte sich an, dass Klitschko bei den Radikalen nicht genug Autorität hat. Als er auf eine Barrikade stieg, um die Gewalt zu stoppen, attackierten ihn Regierungsgegner mit einem Feuerlöscher – eine erniedrigende Erfahrung für den Schwergewichtler. Klitschkos Initiativen sind zu häufig ins Leere gelaufen. Immer wieder hat er Präsident Janukowitsch zum Rücktritt aufgefordert, immer wieder Neuwahlen verlangt, immer wieder zum Generalstreik aufgerufen – alles vergeblich.

Wenigstens in einem Punkt hat er jetzt Erfolg: Seit Wochen drang er darauf, die EU möge gegen Janukowitsch und seine Herrschaftsclique Sanktionen in Gestalt von Einreiseverboten und dem Einfrieren von Vermögen verhängen.

Politisch engagiert sich Klitschko seit der "Orangen Revolution" 2004. Doch zunächst hatte er wenig Erfolg: Zweimal scheiterte er als Kandidat bei den Kiewer Bürgermeisterwahlen, einmal als Kandidat für das Parlament. 2010 gründete Klitschko die "Udar"-Partei. Die Abkürzung steht für "Ukrainische Demokratische Allianz für Reformen", das Wort bedeutet "Schlag". Bei der Parlamentswahl 2012 kam Klitschkos Formation auf 15 Prozent.

"Ich glaube, er ist in die Politik gegangen, weil er in Deutschland und den USA gesehen hat, wie das auch funktionieren kann", sagt Mykola Veresen, "einfach auf die Menschen zugehen, nicht klauen, nicht lügen." In der Ukraine gilt die Politik bislang vor allem als Mittel zur Bereicherung, als schmutziges und sogar lebensgefährliches Geschäft.

Klitschko wollte es anders machen, träumte auch von einer Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen 2015. Doch nun steht seine politische Zukunft genauso in den Sternen wie die Zukunft seines Landes.

(RP)
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