Düsseldorf "Vier Stunden Schlaf sind auf Dauer zu wenig"

Düsseldorf · Knapp 600 Gäste erleben beim Ständehaus-Treff eine gut aufgelegte Kanzlerin, die auch über physische Anforderungen ihres Berufs spricht.

Mit dem oft genutzten Bild, die Kanzlerin sei eine "Physikerin der Macht", räumte Angela Merkel beim Ständehaus-Treff in Düsseldorf auf. "Die Macht ist keine besonders wichtige Variable in der Physik", sagte sie. Man spreche vielmehr von Wechselwirkungen und Kräfteverhältnissen, erklärte sie. Die Beschreibung ihres eigenen Politikstils klang dann überraschend einfach: "Ich versuche, über Dinge zu sprechen, die ich verstanden habe. Ich versuche zuzuhören." Wo sie Mehrheiten sehe, frage sie sich, ob das noch mit ihren Grundüberzeugungen zusammenpasse oder ob sie weiterarbeiten müsse.

Zuvor hatte der Vorsitzende der Geschäftsführung der Rheinische Post Mediengruppe, Karl Hans Arnold, eine gut aufgelegte Bundeskanzlerin zum Ständehaus-Treff im früheren nordrhein-westfälischen Landtagsgebäude empfangen. Knapp 600 Gäste waren gekommen, um über Merkels Pläne zu den künftigen Beziehungen zu Frankreich und zur Steuerpolitik in der nächsten Wahlperiode zu erfahren - und vor allem um die menschliche Seite der mächtigsten Frau der Welt näher kennenzulernen.

Ob sie tatsächlich so uneitel sei, wie vielfach behauptet wird, wollte RP-Chefredakteur Michael Bröcker wissen. "Wenn ich jetzt behaupten würde, dass ich nicht eitel bin, wäre ich ein schwerer Fall für Sie", gab Merkel zurück. Den typischen Knopfdruck, um die eigene Eitelkeit zu befriedigen, hat sie aber nicht nötig: Ob sie sich schon einmal selbst gegoogelt habe? "Nee, mache ich nicht", sagte sie und schob hinterher, dass sie nur ab und zu in ihrem eigenen Handy ihre Telefonnummer nachschaue.

Als Angela Merkel im November 2001 zum ersten Mal Gast der traditionsreichen Netzwerkveranstaltung war, war sie zwar bereits CDU-Vorsitzende, aber der Ständehaus-Treff hieß noch Landhaus-Treff, fand in Duisburg statt, und das Kanzleramt war für Merkel weit weg. Auf die Frage, ob eine Frau Bundeskanzlerin werden könne, hatte Merkel damals bescheiden geantwortet: "Juristisch schon."

Nach zwölf Jahren als Regierungschefin erlebten die Zuhörer gestern eine andere Angela Merkel auf der Bühne. Bröcker erinnerte auch an Merkels zweiten Auftritt beim Ständehaus-Treff 2003. Damals saß sie nach nur vier Stunden Schlaf auf der Bühne, weil sie als Oppositionsführerin mit der Regierung Schröder um die Steuerreform rang.

Nach ihrem Auftritt damals sahen viele Gäste die CDU-Chefin als kommende erste Bundeskanzlerin Deutschlands. Immer noch ist sie für ihre gute Kondition bei internationalen Konferenzen, in Koalitionsausschüssen und im Umgang mit schwierigen Gesprächspartnern bekannt. Doch mit vier Stunden Schlaf pro Nacht kommt auch die Kanzlerin dauerhaft nicht aus. Für "einigermaßen konstante Laune" brauche sie mehr, bekannte sie.

Im Publikum im Düsseldorfer Ständehaus fanden sich gestern Abend auch einige Vertraute der Kanzlerin. So war Hildegard Müller gekommen - zu Beginn von Merkels Amtszeit 2005 Staatsministerin im Kanzleramt und damals, als in der CDU noch die "Kann die das?"-Stimmung herrschte, eine Art Geigerzähler für politische Gefahren aller Art. Bevor sie 2016 RWE-Vorstand wurde, arbeitete Müller in der Funktion der Vorsitzenden des Bundesverbandes Energie- und Wasserwirtschaft als Lobbyistin in Berlin.

Auf ein Glas Wein kam zu späterer Stunde auch EU-Kommissar Günther Oettinger, der gerade in Brüssel einen Dämpfer hinnehmen musste: Nach einer Reihe öffentlicher Pannen soll er nun doch nicht zum Vizepräsidenten der Kommission ernannt werden. Aus der Region ließ sich eine Reihe von Oberbürgermeistern blicken, darunter der Düsseldorfer Thomas Geisel (SPD) und die parteilose Kölnerin Henriette Reker. Schon 2001 hatte der Europa-Abgeordnete Herbert Reul (CDU) Merkel bei ihrem ersten Auftritt in der Veranstaltungsreihe gesehen - auch er war wieder zu Gast. Am Rande räumte er ein, dass er damals auch noch nicht geahnt habe, welcher Weg noch vor Merkel liege.

Auf die zentrale Frage von Chefredakteur Bröcker, was Merkel im Land in einer möglichen vierten Amtszeit noch bewegen wolle, nannte sie als Hauptmotiv für ihre erneute Kandidatur die Neugier. "Eine Frage, die mich auch bewegt hat: Bin ich noch neugierig genug auf die Welt?", erklärte Merkel und beschrieb die Mühen der Politik: "Sie müssen sich auskennen, wenn Sie Gesetze machen." Sie habe sich gefragt, ob sie noch alle Fakten in ihren Kopf bekomme und ob sie noch neugierig sei auf Menschen. "Zu alldem habe ich nach längerer Überlegung gesagt: Reicht noch."

Inhaltlich sagte sie, was sie auch schon zu Beginn der im Herbst zu Ende gehenden Wahlperiode erklärt hatte: "Ich möchte, dass es möglichst vielen Menschen am Ende einer Legislaturperiode besser geht als am Anfang." Als konkrete Punkte nannte sie die Digitalisierung, ein "großes Reformprojekt", dessen Umfang "wir alle" noch nicht richtig erfasst hätten. Die Christdemokraten wollen sich im Bundestagswahlkampf zudem dem ländlichen Raum zuwenden, wo traditionell ihre Wählerschaft sitzt. "Wir haben in Deutschland einen Auftrag im Grundgesetz, gleichwertige Lebensverhältnisse herzustellen", sagte Merkel dazu. "Wir müssen vielfältigere Lösungen finden", meinte sie mit Blick auf die unterschiedlichen Bedürfnisse von Menschen in Städten und auf dem Land.

Merkel besitzt das Talent, unauffällig in den Wahlkampfmodus zu schalten. So warf sie auf der Bühne im Ständehaus auch ihr internationales Renommee in die Waagschale. Sie könne weiterhin als Kanzlerin bei der Sicherheit für Europa und seine Peripherie ihre Erfahrung und ihre Beziehungen einbringen.

Auf ein Foto, auf dem Merkel Horst Seehofer herzt, den Vorsitzenden der Schwesterpartei CSU, reagierte sie grinsend. "Das ist einfach schön", sagte sie. Wohl wissend, welche Fragen sich an ein solches Foto anschließen, sagte sie: "Sie hätten auch andere finden können." Dann beeilte sie sich zu versichern, dass sie zu Seehofer selbst in den schwierigsten Zeiten immer einen Gesprächsfaden gehabt habe. Der Frage, ob auch persönlich etwas hängengeblieben sei, wich sie aus: "Wir müssen unsere Arbeit machen." Sie ließ sich nur dazu hinreißen, ihre Konflikte mit Seehofer als "intensiv" zu beschreiben.

Über ihr zwischenzeitlich sehr schwieriges Verhältnis zu Helmut Kohl redete sie offen. Es gibt Parallelen zu Seehofer: Auch sie und Kohl hätten "zugunsten der CDU" trotzdem zusammengearbeitet. Dann lobte sie Kohl, dass sie "unglaublich viel" von ihm gelernt habe. Bei der deutschen Einheit habe er viel Fingerspitzengefühl gezeigt: "Er hat uns Ostdeutsche aufgenommen." Zu ihm selbst und seiner Frau habe sie von Zeit zu Zeit Kontakt.

Lustig und öffentlich wohl bisher noch nicht erzählt ist die Geschichte, wie Merkel Frauenministerin wurde: Eines Tages habe Kohl sie in Bonn einbestellt. Er habe darauf hingewiesen, dass sie als Physikerin ja viel mit Männern zusammengearbeitet habe, und sie dann gefragt: "Verstehen Sie sich mit Frauen?"

Als Merkel nicht verneinte, hatte sie den Job.

(RP)
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