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Analyse "Verwandtenaffäre" – Seehofer in Not

München · Die CSU-Affäre um die Beschäftigung von Angehörigen trifft die größte Regierungspartei empfindlich. Sie tröstet sich damit, dass auch Abgeordnete von SPD, Grünen und Freien Wählern "Vetternwirtschaft" betrieben haben.

Mei, sollte das eine echt boarische Gaudi der CSU werden gestern Abend im Postpalast in München. Da in den schicken Teilen Münchens längst weniger echt boarisch, dafür umso mehr Denglisch geredet wird, preist sich der Postpalast als "Location", die für Produktpräsentationen, Firmenfeiern, Filmpremieren oder sonstige Events hervorragend geeignet sei.

Nun, die Produktpräsentation, welche die CSU mit ihrem Parteikonvent geplant hatte, sollte eigentlich in eine republikanische Krönungszeremonie zu Ehren des Ministerpräsidenten, Parteivorsitzenden und Wahl-Spitzenkandidaten Horst Seehofer münden. Doch die Abendfestspiele im Postpalast, die mehr als tausend Freunde der CSU hatten genießen wollen, gerieten zu einer weniger glanzvollen Trotzdem-Veranstaltung mit reichlich Zorn und Zerknirschung. Die "Verwandtenaffäre" und das "saublöde" (ein CSU-ler) Verhalten zahlreicher Minister und Abgeordneter der größten Regierungspartei Bayerns hätten aus dem Postpalast beinahe einen Palast der Tränen gemacht. So schlimm kam es dann nicht, weil es neben CSU-Abgeordneten auch solche von SPD, Grünen und Freien Wählern (FW) gut gemeint haben mit einer "Familienpolitik" der ganz eigenen bayerischen Art.

Dennoch formulierte eine erzürnte Spitzenrepräsentantin der CSU die Stimmung vier Monate vor der Landtagswahl in Bayern am 15. September (eine Woche vor der Bundestagswahl) drastisch: "Beschissen ist das alles." Ministerpräsident und CSU-Chef Seehofer ist nach den Worten eines Sprechers "stinksauer" über Parteifreundinnen und -freunde, die Ehefrauen sowie Verwandte ersten und zweiten Grades als Büro-Mitarbeiter beschäftigt hatten und haben, mal in Form von Minijobs, mal zu tariflich üblichen Bürokraft-Gehältern für Voll- oder Teilzeitarbeit. Bezahlt wurde das aus Steuermitteln.

In Bayern darf jeder Abgeordnete monatlich bis zu 7500 Euro aus der Staatskasse für Mitarbeiter ausgeben. Fraktionschef Georg Schmid hatte dabei über alle Stränge geschlagen und seiner Ehefrau Monats-Honorare von bis zu 5500 Euro zukommen lassen. Schmid wurde von Seehofer, der sich als erster Ausmister des Saustalls begreift, zum Verzicht auf den CSU-Fraktionsvorsitz gedrängt und durch die sechsfache Mutter und 22-fache Großmutter Christa Stewens (67), eine ehrbare Ex-Sozialministerin Bayerns, ersetzt.

Für einen Augenblick hielten CSU-ler gestern Nachmittag den Atem an, weil Seehofer nicht zum Bundesrats-Termin nach Berlin gekommen war und angeblich auch vorübergehend telefonisch nicht zu erreichen war. Man erinnerte sich daran, dass "der Horst", dieser Einzelgänger, vor vielen Jahren schon einmal tagelang auf Tauchstation gegangen war, einen Parteitag geschwänzt hatte, nicht ans Handy gegangen war und sich "dahoam" von Dosensuppen ernährt hatte. Würde er, der Unberechenbare, den Konvent und seine Nominierung als Spitzenkandidat platzen lassen? "So ein Schmarrn", antwortete die Umgebung des CSU- und Regierungschefs. Damit auch jeder begriff, dass Seehofer und seine Recken nicht daran denken, sich durch die "Verwandtenaffäre" aus der Bahn werfen zu lassen, schon gar nicht von einer ebenfalls belasteten Opposition, gab Seehofer die Kampf-Parole aus: Rücktrittsforderungen des Seehofer-Herausforderers Christian Ude von der SPD seien nichts anderes als ein durchsichtiges Wahlkampfmanöver. Es werde Ude nicht gelingen, von der Mitverstrickung einiger SPD-Abgeordneter abzulenken. Ude brauche man nicht zur Lösung des Problems. Die CSU wolle Aufklärung und Transparenz.

Die trotzige Haltung der in die Defensive gedrängten CSU erklärte sich auch daraus, dass ihr eine aktuelle Umfrage ein Wahlergebnis von 47 Prozent signalisiert, der vereinigten Opposition von SPD (20 Prozent), Grünen (13) und FW (8) jedoch bloß 41 Prozent. Die Umfrage war Ende April, also nach den ersten Meldungen über die "Verwandtenaffäre" durchgeführt worden.

Die Mitregierungspartei FDP (sie war zwischen 1994 und 2008 nicht im bayerischen Landtag), die derzeit bei drei Prozent rangiert, ist doppelt fassungslos: erstens über die Stillosigkeit, mit der Abgeordnete vor allem von der CSU, aber auch von SPD, Grünen und Freien Wählern Verwandten zu Bürojobs verholfen haben und zweitens darüber, dass die Liberalen, die sich keine "Vetternwirtschaft" vorwerfen lassen müssen, die Fünf-Prozent-Marke noch nicht erreichen. Dennoch blieb Bayerns Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) selbstbewusst und rief die Opposition zur Mäßigung auf: Es sei dummes Geschwätz, wenn etwa Christian Ude von einer Regierungs- und Parlamentskrise spreche.

Ursula Münch, Politikwissenschaftlerin und Leiterin der renommierten Tutzinger Akademie für Politische Bildung, sorgt sich um das ohnehin schon schlechte Ansehen von Politikern. Sie sagte gestern, dass sie es als wenig sachgerecht und differenziert empfinde, plötzlich so zu tun, als hätten alle Politiker in Bayern dem Freistaat das Tafelsilber gestohlen: "Es sind doch nicht allesamt Abzocker." Münch verwies auf die Rechtslage, wonach Verwandte zweiten Grades, also Geschwister, auch nach der Rechtsänderung aus dem Jahr 2000 von Abgeordneten beschäftigt werden dürfen. Entsprechendes hatte etwa Justizministerin Beate Merk (CSU) getan, als sie ihre Schwester eine Zeit lang als Schwangerschaftsvertretung ihrer Sekretärin beschäftigt hatte.

Seehofersetzt setzt darauf, die verärgerten Wähler in Kürze durch eine strenge Beschäftigungsregelung zu besänftigen. Danach dürfen Abgeordnete künftig weder Ehefrauen, noch Kinder, Geschwister und Verwandte dritten Grades beschäftigen. Ein CSU-ler behielt auch dabei seinen sprichwörtlichen Humor: "Bis zum 35. Verwandtschaftsgrad, bis zu Adam und Eva, dehnen wir das Verbot jedoch nicht aus."

(RP)
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