Berlin Vertuschung im Fall Ohnesorg?

Berlin · Der tödliche Schuss auf den Studenten Benno Ohnesorg am Rande der Demonstration gegen den Schah von Persien in West-Berlin 1967 könnte nach Recherchen des "Spiegels" doch gezielt abgefeuert worden sein. Der Polizist Karl-Heinz Kurras, der 2009 als Stasi-Spitzel enttarnt worden war, hatte sich stets auf Notwehr berufen. Der heute 84-Jährige war 1967 und 1970 vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung mangels Beweisen freigesprochen worden. Kurras hatte stets behauptet, Ohnesorg habe ihn mit einem Messer angegriffen, woraufhin er seine Dienstwaffe auf den Angreifer abgefeuert hatte.

Dem Bericht zufolge belegt eine neue Auswertung alter Filmaufnahmen und Fotos mittels hochauflösender Abtastung allerdings, dass Kurras Version nicht stimmt. Auf einer bislang unbekannten Filmsequenz, die von einem SFB-Team gedreht wurde, sieht man einen Mann mit ruhigen Schritten in Richtung Ohnesorg gehen, während sich in seiner Hand ein pistolenförmiger Gegenstand abzeichnet. Die Ermittler stellten dazu fest: "Die Konturen legen dabei nahe, dass es sich um Kurras handelt."

Der "Spiegel" schreibt zudem, Polizistenkollegen sollen nach dem tödlichen Schuss Spuren verwischt, Akten gesäubert und falsche Angaben gemacht haben, um Kurras zu schützen. So ist ein bislang unbekanntes Bild aufgetaucht, das die Situation der Schussabgabe zeigt. Dabei stützt sich Kurras mit der linken Hand auf einen Kollegen, während er mit der rechten Hand schießt. Der Name des Kollegen taucht allerdings in keiner der Akten auf, auch sei der Polizist nie vernommen worden. Ebenso wenig wie drei Schutzpolizisten, die wahrscheinlich noch nach dem tödlichen Treffer auf den bereits am Boden liegenden Ohnesorg eingeprügelt hatten. Ihre Namen sind bis heute nicht ermittelt.

Doch die Vertuschung beschränkte sich offenbar nicht nur auf die Polizei. So sagte ein Arzt des Krankenhauses Moabit, in das Ohnesorg gebracht wurde, er habe auf Anweisung seines Chefs Schädelteile um das Einschussloch herum entfernt und die Kopfhaut wieder zugenäht. Im Totenschein ist als Todesursache angegeben: "Schädelverletzung durch stumpfe Gewalteinwirkung."

Ein Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft sagte gestern, eine detaillierte Foto-Auswertung habe sich erst durch neue technische Möglichkeiten ergeben. Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe sagte, es gebe keinen Anhaltspunkt für eine Verbindung zwischen dem Schuss von Kurras und seiner Tätigkeit für die DDR-Staatssicherheit. Der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele reagierte geschockt auf die Ermittlungsergebnisse: "Es ist schlimmer als das Übelste, was wir damals vermuteten, so weit ging unsere Fantasie nicht", sagte der Grünen- Politiker.

(RP)
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