Verteidigungsminister Boris Pistorius Handelsreisender in Sachen Weltsicherheit

JAKRTA/DELHI/MUMBAI · Verteidigungsminister Boris Pistorius war eine Woche im Indo-Pazifik unterwegs. Er hat noch einmal mehr zu spüren bekommen, dass die Krisen der Welt Europa nicht in Ruhe lassen werden. Umso mehr muss er Zuhause die Zeitenwende vorantreiben

 Verteidigungsminister Boris Pistorius am Mittwoch in Mumbai am letzten Tag seiner einwöchigen Indo-Pazifik-Tour, die ihn auch zur indischen Marine führt.

Verteidigungsminister Boris Pistorius am Mittwoch in Mumbai am letzten Tag seiner einwöchigen Indo-Pazifik-Tour, die ihn auch zur indischen Marine führt.

Foto: dpa/Britta Pedersen

JAKARTA/DELHI/MUMBAI. Die Abwehr steht. Bei Thomas Doll. Die Verteidigung muss stehen. Bei Boris Pistorius. Minister trifft Fußballtrainer. Rund 10 000 Kilometer von Zuhause entfernt. Oder auch: VfL Osnabrück, im Falle von Dauerkarteninhaber Pistorius, gegen Persija Jakarta, indonesischer Erstligist, seit Mai vergangenen Jahres trainiert vom ehemaligen Nationalspieler Doll. Der deutsche Verteidigungsminister ist eine Woche im Indo-Pazifik unterwegs – drei Länder, sieben Tage, gefühlt 100 Termine und 1000 Begegnungen. Krieg in der Ukraine, Kriegsgefahr in der Straße von Taiwan, Spannungen zwischen den Weltmächten USA und China, Zeitenwende. Die Begegnung in der Residenz der deutschen Botschafterin in Indonesien, Ina Lepel, am Abend von Tag drei der Indo-Pazifik-Tournee, gehört zu den dann wirklich angenehmen Gelegenheiten in diesem Job, der Pistorius eigentlich keine Pause mehr lässt. Aber Fußball geht immer. Doll lässt Fünfer-Abwehrkette spielen, Catenaccio, sein Co-Trainer ist Italiener. Pistorius erzählt vom Aufstieg seines Vereins VfL Osnabrück in die zweite Liga. Da war er selbst gar nicht in Deutschland. Kleine Auszeit vom aufreibenden Job in Edinburgh. Aber im Fernsehen hat er geguckt. Immerhin.

„Ich reise gern, aber nicht zu viel“, sagt der deutsche Verteidigungsminister auf Indo-Pazifik-Tour. Denn Zuhause warten einfach „viele Aufgaben“, auch große. Man nennt es „Zeitenwende“. Pistorius lässt diesen Begriff in seinen in Englisch gehaltenen Reden auf Deutsch einfließen ein, erklärt, dass es sich dabei um eine „tektonische Verschiebung“ deutscher Verteidigungs- und Sicherheitspolitik handele. Zeitenwende, aha, lässt sich manchmal in den Gesichtern seiner Zuhörer ablesen. Ein Mega-Job, die Truppe wieder auf Vordermann zu bringen und das viele Geld dabei auch richtig auszugeben. Das gehe nicht von heute auf morgen, sagt er. Ein neuer Panzer stehe nicht zwei Wochen nach der Bestellung auf dem Hof. Wenn der 63 Jahre alte SPD-Politiker auf die zurückliegenden Monate blickt, seit er am 19. Januar den schwierigsten Job im Kabinett übernommen hat, könnte er sich fühlen wie im eigenen Film. Die fünf Monate kämen ihm manchmal „wie Jahre“ vor, so getaktet und voll gepackt seien seine Tage als Bundesminister der Verteidigung, gibt er vor kleinem Publikum in Jakarta einen Einblick in seine Welt als Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt (IBuK). Er schlafe weniger, aber immer noch gut -- auch auf dieser Reise, die ihn zu neuen Partnern führen soll, bei denen er um neue Kooperationen und Allianzen wirbt. Denn so viel ist ihm klar: Deutschland und Europa werden sich vor allem für die kommenden Krisen auf diesem Erdball anders aufstellen müssen. Widerstandsfähiger oder „resilienter“, wie es heute gerne heißt.

Der SPD-Politiker hält nicht viel von „Ausschließeritis“. Er ist lange genug in der Berufspolitik, um zu wissen, dass rote Linien den eigenen Handlungsspielraum einschränken. Und mit einer Lektion in Moral oder Genderprogrammen will er anderen Staaten auch nicht kommen. In Mumbai auf der letzten Station seiner Reise flankiert er ein deutsch-indisches Rüstungs-Milliardenprojekt zu Bau und Kauf von sechs U-Booten, das bald die Auftragsbücher von ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) aufbessert. Derzeit hat er ein Versuchsfeld für die Rüstungsexportpolitik eröffnet. Er ist schon mal rausgeschwommen, mal sehen, was die Koalition, was seine Partei, die SPD, und was die Grünen sagen, wenn der Minister die Grenze für eine selbstverständlichere Lieferung von Rüstungsgütern an Partner in der Welt verschiebt. Mal sehen...

Pistorius ist gerade als Handelsreisender in Sachen Weltsicherheit unterwegs. Die Temperatur an einigen Brandherden hat bedenklich zugenommen. Ein Krieg in der Straße von Taiwan könnte eine Weltwirtschaftskrise auslösen. Dann besser zeitig miteinander reden, als gegeneinander Krieg führen. Beim Gespräch mit dem chinesischen Verteidigungsminister General Li Shangfu hat er ein Gefühl dafür bekommen, dass China seinen Anspruch auf Taiwan nicht aufgeben wird. Es ist ein deutlicher Meinungsaustausch. China darf sich schon darauf einstellen, dass Pistorius im kommenden Jahr zwei deutsche Kriegsschiffe, eine Fregatte und einen Versorger, für eine Übung mit Anrainerstaaten in den Indo-Pazifik schicken wird. Militärisch muss China das nicht fürchten, aber es ärgert Peking, dass die Deutschen sich nun auch hier tummeln. „Flagge zeigen“, sagt der Minister. Unterwegs hört er dazu: „Wir brauchen Ihre aktive Rolle im Indo-Pazifik.“ Deutschland ist gemeint – auf der anderen Seite der Erdkugel. Pistorius gibt zu Protokoll: „Der Indo-Pazifik ist eine Schlüsselregion für uns.“

Pistorius spricht ein leichtgängiges Englisch, gibt Interviews mühelos in der Weltsprache und wenn ihm vor Offizieren und Polizisten eines Lehrgangs in Jakarta mal eine Vokabel nicht einfällt, fragt er einfach die deutschen Zuhörer im Publikum: „Anerkannt?“ „Accepted“, kommt es zurück. Gespräch kann weiter gehen. Nächste Frage, bitte! Er verlässt sich in Zweifel gerne auf sein Gespür, auf sein Bauchgefühl. Spielt der Gegenüber ehrlich? In Litauen stapft er beim Besuch des deutschen Nato-Kontingents in Tarnfleckjacke bei eisigen Temperaturen durch den tiefen Schnee, in Hammelburg macht er beim Besuch der Infanterieschule des Heeres bei einer Übung einer Spezialeinheit mit und sprengt in Montur eine Tür, in Mahlwinkel in Sachsen-Anhalt will er gerade ein kurzes Pressestatement geben, da klingelt sein Handy. Melodie: Star Trek. Der Minister drückt den Anruf weg und sagt: „Spannend, oder? Das ist mein Bekenntnis zu Star Trek.“ Die Zuhörer haben Spaß. Die Soldatinnen und Soldaten spüren: Da kommt einer, der wissen will, was die Truppe macht. Pistorius weiß aber auch, dass die richtig schweren Tage in diesem Amt noch kommen werden. Irgendwann wird das erste große Rüstungsprojekt seiner Amtszeit eben nicht klappen. Dann geht das Gezeter los. Aber jetzt war er erst einmal draußen in der Welt. Und da draußen ist es kompliziert geworden. Und gefährlich.

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