Istanbul Verschwörungstheorien sind in der Türkei allgegenwärtig

Istanbul · "Warum ist Deutschland denn so sehr gegen Erdogan?", fragt Mahmut, ein massiger Mann Mitte 40 aus Istanbul. Mahmut will bei der Volksabstimmung morgen für die Einführung eines Präsidialsystems stimmen, wie Präsident Recep Tayyip Erdogan es fordert. Nicht, dass Mahmut unglaublich begeistert wäre von der Präsidialrepublik. Doch er sieht eine Feindseligkeit der Europäer gegen Erdogan, und das verstärkt seine Entschlossenheit, morgen mit Ja zu votieren: Wie andere Türken betrachtet Mahmut seine Wählerstimme als Instrument, um ein Komplott des Auslands gegen sein Land abzuwehren.

Ein Stichwort, das bei Leuten wie Mahmut immer wieder fällt, lautet "Flughafen". Der geplante Istanbuler Großflughafen im Norden der Metropole soll im nächsten Frühjahr den Betrieb aufnehmen und innerhalb kurzer Zeit auf eine Kapazität von 150 Millionen Passagieren im Jahr ausgebaut werden. Damit würde sich Istanbul zum größten internationalen Drehkreuz entwickeln - und genau das sei der Grund, warum die um die Position von Frankfurt besorgten Deutschen den Türken alle möglichen Knüppel zwischen die Beine werfen wollten, sagt Mahmut.

Er ist mit derlei Ansichten nicht allein. Burhan Kuzu, ein prominenter Politiker der Erdogan-Partei AKP, war schon während der Gezi-Proteste des Jahres 2013 mit der Flughafen-These an die Öffentlichkeit gegangen. Damals behauptete er, Deutschland oder die Lufthansa heizten die regierungsfeindlichen Demonstrationen in der Türkei an, um den Istanbuler Flughafen-Bau zu verhindern. Im Zusammenhang mit dem Verfassungsreferendum hat Kuzu seine Geschichte aufgewärmt. Die Deutschen seien in Panik geraten, weil der Frankfurter Flughafen vor dem Aus stehe, sagte Kuzu im Januar.

Längst ist das Verschwörungs-Denken zum Teil der politischen Kultur geworden. Im politischen Sprachgebrauch in Ankara gibt es das Bild von jemandem, der "auf den Knopf drückt", um den Lauf der Dinge zu beeinflussen. Erdogan selbst spricht häufig von einer "höheren Macht", die zum Schaden der Türkei aktiv werde - meistens meint er damit die USA. Nach dem gescheiterten Putschversuch des vergangenen Jahres beschuldigte der türkische Präsident die Führung in Washington, die Umstürzler unterstützt zu haben. Eine regierungsnahe türkische Zeitung lastete einem US-Wissenschaftler, der in den Tagen des Putschversuchs zufällig bei einer Konferenz in Istanbul war, die Organisation des Aufstandes an.

Finstere Mächte glauben Erdogan und andere Politiker auch hinter Entscheidungen internationaler Investoren oder Rating-Agenturen zu erkennen. Eine "Zins-Lobby" versucht demnach, einen Wirtschaftsaufschwung der Türkei zu stoppen, um hohe Erträge bei türkischen Staatsanleihen zu erzielen.

Eine "höhere Macht" sieht auch Melih Gökçek, der AKP-Bürgermeister von Ankara, am Werk. Gökçek meldete sich nach einem kürzlichen Erdbeben im Nordwesten der Türkei mit der Behauptung zu Wort, hinter dieser und anderen Erschütterungen könnten ausländische Mächte stecken, die mit einem hochgeheimen unterseeischen Sprengsatz einen Angriff auf die Türkei starten wollten. Ziel sei es, die stark erdbebengefährdete Metropole Istanbul mit einem künstlich herbeigeführten Beben zu zerstören, um die Wirtschaft der Türkei zu treffen.

Der bizarrste Vorwurf kommt aber von Erdogans Berater Yigit Bulut. Der sprach vor einigen Jahren von Plänen des Westens, Erdogan per Gedankenübertragung zu töten.

(RP)
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