10.000 Ansprüche neu zu entscheiden Verfassungsgericht: Entschädigung bei "kalten" Enteignungen

Karlsruhe (rpo). Das Bundesverfassungsgericht hat den Opfern so genannter kalter Enteignungen in der DDR einen Anspruch auf Entschädigung zugesprochen. Aus Gründen der Gleichbehandlung müssten auch diejenigen einen Ausgleich erhalten, die zu DDR-Zeiten ihre Immobilien wegen nicht Kosten deckender Mieten oder wegen drohender Überschuldung aufgegeben hätten, heißt es in dem Beschluss.

Das Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen geht davon aus, dass eventuell 10 000 Ansprüche neu zu entscheiden seien. Dies hänge davon ab, ob die Regelung nur auf noch nicht entschiedene Fälle angewandt werde oder ob der Gesetzgeber sie auch auf alle anderen ausdehnen wolle. Die finanzielle Mehrbelastung könnte sich dann auf bis zu 630 Millionen Mark (322 Mio Euro) belaufen. "Die Entscheidung wird vor allem Eigentümer aus der DDR betreffen, die an den Staat verschenkt oder verzichtet hatten."

Das Bundesfinanzministerium erwartet keine großen finanziellen Auswirkungen des Urteils auf den Bundeshaushalt. Die Entscheidung werde jetzt auf seine Wirkungen hin geprüft, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Wahrscheinlich werde der Kreis der Betroffenen überschaubar und die Finanzierung verkraftbar sein. Über den Umfang des Betroffenenkreises sei noch keine Aussage möglich.

Bisher galt der Entschädigungsanspruch nur bei einer erzwungenen Übernahme von bebauten Grundstücken ins Volkseigentum der DDR - nicht aber, wenn der Eigentümer die wirtschaftlich nicht lohnenswerte Immobilie durch Eigentumsverzicht, Schenkung oder Erbausschlagung mehr oder weniger freiwillig weggab.

Zwar haben Alteigentümer in diesen Fällen grundsätzlich einen Rückgabeanspruch. Dieser lässt sich aber häufig nicht realisieren, weil die Grundstücke inzwischen zum Beispiel auf redliche Käufer übergegangen sind (Aktenzeichen: 1 BvL 17/00 - Beschluss vom 10. Oktober 2001). Der Erste Senat erklärte auf Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts eine entsprechende Regelung des Vermögensgesetzes nun für nichtig.

Nach den Worten der Karlsruher Richter kann angesichts der ökonomischen Zwangssituation von einer wirklich eigenen Entscheidung keine Rede sein. "Kalte" und förmliche Enteignungen seien gleichermaßen diskriminierend, so dass es den Grundsatz der Gleichbehandlung verletze, wenn nur eine Gruppe in den Genuss von Entschädigungen komme. Die Bundesregierung hatte die Ungleichbehandlung damit gerechtfertigt, dass die Betroffenen - anders als bei der Enteignung - ihr Eigentum freiwillig aufgegeben hätten.

Damit gaben die Karlsruher Richter dem Urenkel einer Frau Recht, die in der DDR Miteigentümerin eines Mehrfamilienhauses war. Als sie 1959 starb, schlugen ihre Nachkommen die Erbschaft aus, so dass ihr Anteil ins DDR-Volkseigentum fiel. Weil eine Rückgabe des Eigentumsanteils nicht mehr möglich war, verlangte der Kläger eine Entschädigung.

(RPO Archiv)
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