Washington USA wollen nicht mehr Weltpolizist sein

Washington · Die Army schrumpft auf die Größe von 1940. Mindestens jede siebte Stelle wird nach den Plänen des Verteidigungsministeriums eingespart.

Henry Stimson war Franklin D. Roosevelts Kriegsminister, im Zweiten Weltkrieg zuständig für die Bewaffnung der Streitkräfte. Nun kramen die Realpolitiker der Regierung Barack Obamas seinen Zitatenschatz aus den Archiven, die Anmerkungen eines Lehrmeisters pragmatischen Denkens. Von Stimson stammt nämlich der schlichte Satz: "Amerika muss handeln in der Welt, wie sie ist, nicht in der Welt, die es sich wünscht." Auf Stimson beruft sich Chuck Hagel, wenn er – gegen heftigen Widerstand der Besitzstandswahrer – einen Sparkurs verteidigt, der die Streitkräfte der Supermacht zu den kleinsten seit 1940 werden lässt.

In der Welt des Jahres 2014, so analysiert der Chef des Pentagons, brauchen die USA eine hochflexible Streitmacht, kein riesiges Heer, das nach bisheriger Doktrin zwei Landkriege zugleich führen kann. Der Einsatz im Irak ist Geschichte, der in Afghanistan demnächst beendet. Nach Einschätzung Hagels wird sich der Ausnahmefall so bald nicht wiederholen, werden US-Präsidenten so schnell nicht wieder größere Truppenkontingente nahezu simultan in zwei Länder beordern. Hinzu kommt die fiskalische Realität Washingtons, ein enormer Spardruck. Nüchtern wie ein Kaufmann spricht der Minister von hohen Militärausgaben, "die wir uns nicht mehr leisten können". Nach seinem ersten, dem optimistischen Szenario wird das Heer seine Personalstärke um etwa ein Siebtel reduzieren, von derzeit 520 000 auf 440 000 bis 450 000 Soldaten in fünf Jahren. Beharrt der Kongress auf dem "Sequester", dem Kürzen sämtlicher Etatposten nach dem Rasenmäherprinzip, könnte die Army sogar auf 420 000 Mann schrumpfen.

Die Luftwaffe soll 300 Kampfjets vom Typ A-10 "Warthog" ("Warzenschwein") verschrotten – Fluggerät, das konstruiert wurde, um im Ernstfall sowjetische Panzer in den Ebenen Mitteleuropas zu zerstören. Ein zweites markantes Symbol des Kalten Krieges, das Spionageflugzeug U-2, soll ebenfalls ausgemustert und durch Drohnen ersetzt werden.

Die Marine behält zwar ihre elf Flugzeugträger, eine geplante Modernisierung, die der USS "George Washington", wird aber wegen knappen Geldes verschoben. Bei der Marineinfanterie, der schnellen Eingreiftruppe, wird der Rotstift vergleichsweise behutsam angesetzt: ein Personalminus von vier Prozent. Ausgebaut, von 66 000 auf 70 000 Mann, werden wiederum die Special Forces, Kommandotruppen wie die Navy Seals, die Osama bin Laden in seinem Versteck im pakistanischen Abbottabad töteten.

Für die Anhänger Hagels, eines gemäßigten Republikaners, markiert die Wende einen Einschnitt, wie er auf der Hand liegt, wenn Kriege zu Ende gehen. Ähnlich war es in den 50ern nach dem Waffenstillstand in Korea, in den 70ern nach dem Abzug aus Vietnam und in den 90ern im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion.

1990 zählte das Heer noch 780 000 Soldaten. 2001, vor den Feldzügen im Irak und Afghanistan, waren es nur noch 480 000, zehn Jahre darauf 566 000. Im historischen Kontext ist Hagels Kurskorrektur das Normale, Teil einer ständigen Wellenbewegung. Außerdem untermauert sie Obamas weltpolitische Weichenstellung, den Schwenk nach Asien. "Wendet sich das Weiße Haus Ostasien zu, brauchen die USA deutlich weniger Bodentruppen", doziert Cindy Williams, Militärexpertin am Massachusetts Institute of Technology, im Magazin "Foreign Affairs". Eventuelle Konflikte im asiatisch-pazifischen Raum würden eher zur See ausgetragen.

Nur: Ohne grünes Licht des Kongresses bleibt alles Makulatur, was das Pentagon an Blaupausen liefert, und als sicher gilt, dass kontroverse Debatten im Parlament folgen. Da sind linke Demokraten, die ein noch größeres Sparpotenzial sehen, mit dem Argument, dass man noch immer viel mehr fürs Militär ausgebe als China und Russland zusammen. Da sind Politiker beider Parteien, die die Schließung von Kasernen in ihren Wahlkreisen fürchten. Da ist schließlich die Sicherheitsfraktion der Republikaner, die Amerikas Größe an der Macht seiner Streitkräfte misst und Obama ohnehin vorwirft, das Weltgeschehen wie ein neutraler Zuschauer zu betrachten.

(RP)
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