Chef des Bundeswehrverbands fordert Untersuchungsausschuss Uran-Munition: Mehrere Zwischenfälle bei US-Streitkräften

Berlin (dpa). Den US-Streitkräften in Deutschland sind in den achtziger Jahren offenbar mehrfach Zwischenfälle mit Uran-Munition unterlaufen. Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) verlas am Freitag im Bundestag überraschend eine Liste aus dem Hauptquartier der amerikanischen Landstreitkräfte in Europa (Heidelberg), wonach es insgesamt neun Vorfälle mit der leicht radioaktiven Munition in Bayern, Hessen und Niedersachsen gab. Hinweise auf Plutonium in der von den USA auf dem Balkan abgeschossenen Uran-Munition gibt es nach Angaben des Verteidigungsministeriums bislang nicht.

Scharping sagte, das Hauptquartier überprüfe, ob und in welchem Umfang Uran-Munition eine Rolle spielte. Es sei aber davon auszugehen, dass es zu irrtümlichem Verschuss dieser Munition und zu Bränden von Kampfpanzern gekommen sei, die mit der Munition beladen waren. Er unterrichte die Öffentlichkeit davon, damit ihm nicht wieder eine schlechte Informationspolitik vorgeworfen werde. Er selbst habe die Nachricht Freitagmittag erhalten.

Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbands, Bernhard Gertz, hat die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Bundestag gefordert, um die Umstände des Einsatzes von Uran-Munition auf deutschen Truppenübungsplätzen aufzuklären. Gertz sagte am Freitag dem Nachrichtensender N24: "Ich denke, ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss wäre das geeignete Instrument, damit sich beide politischen Lager gegenseitig ihre Leistungen und Versäumnisse vorrechnen können." Die Informationspolitik von Verteidigungsminister Rudolf Scharping bezeichnete Gertz als katastrophal.

Der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Paul Breuer, warf Scharping eine "dilettantische Informationspolitik" vor, die maßgeblich zur Dramatisierung des Themas Uranmunition beitrage. "Ich gehe fest davon aus, dass die Vorgängerregierungen nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben", erklärte Breuer in Berlin.

Rheinmetall bestätigt Versuche mit Uran-Munition

Der Düsseldorfer Elektronik- und Rüstungskonzern Rheinmetall sowie der Raumfahrt- und Rüstungskonzern EADS in München bestätigten Versuche mit Uran-Munition in den siebziger Jahren. Ein EADS-Sprecher sagte, die Verantwortung für den Versuch in Schrobenhausen (Bayern) liege voll bei Rheinmetall. Rheinmetall wies das zurück. Hingegen bestätigte der Konzern, dass "im Auftrag und in Abstimmung mit den Behörden und Ämtern" im niedersächsischen Unterlüß mit uranhaltiger Munition geschossen wurde. Die Weltgesundheitsorganisation schickt an diesem Montag ein Expertenteam in das Kosovo, um Gesundheitsrisiken durch die von der NATO verwendete Uran-Munition zu prüfen. Ähnliche Untersuchungen solle es ab sofort auch im Irak geben.

Nach den US-Informationen nannte Scharping Vorfälle 1981 in Fulda, 1982 in Lampertheim (beides Hessen), 1985 in Garlstedt (Niedersachsen), 1985 in Schweinfurt, 1986 sowie die bereits bekannten 1988 in Grafenwöhr, Gollhofen und Ober Altertheim und darüber hinaus 1990 in Wildflecken (alles Bayern). Die Union könne diese Fakten nun mit den Antworten der unionsgeführten Bundesregierung von 1995 und 1997 konfrontieren.

Auf die Anfrage eines SPD-Abgeordneten hatte 1995 das damalige CDU-geführte Verteidigungsministerium geantwortet: "Nach Erkenntnissen der Bundesregierung haben die in Deutschland stationierten US-Streitkräfte DU-Munition im Bestand. Ein Verschuss zu Übungszwecken ist in Deutschland mangels geeigneter Übungseinrichtungen nicht möglich und daher untersagt."

In einer Antwort von 1997 hieß es auf die Frage, an welchen Standorten in Deutschland die US-Streitkräfte die so genannte DU- Munition (Depleted Uranium) im Bestand hätten und für welche Waffensysteme diese gedacht seien: "Mit Rücksicht auf Geheimhaltungserfordernisse sieht sich die Bundesregierung zu einer Beantwortung dieser Frage nicht in der Lage."

Bayerisches Landesamt stellt keine höhere Strahlung fest

Das bayerische Landesamt für Umweltschutz hatte am Freitag - zwölf Jahre nach dem Panzerbrand in Gollhofen - keine erhöhte Strahlung festgestellt. Auch in Ober Altertheim sollte geprüft werden. Nähere Aufschlüsse könnte es durch die Auswertung der Bodenproben geben.

Unterdessen wurden am Freitag im Bundestag die Anträge von CDU/CSU, FDP und PDS zur Bundeswehrreform abgelehnt. Die Grünen stimmten auch nicht für einen Antrag der FDP nach Aussetzung der Wehrpflicht. Der Antrag sei populistisch. Die Grünen würden sich weiter mit der Abschaffung des Wehrdienstes beschäftigen. Die Union wollte die Truppenstärke bei 300 000 Soldaten und nicht wie Scharping bei 282 000 halten. Die PDS plädierte hingegen für eine Reduzierung auf 100 000 Soldaten und die Abschaffung der Wehrpflicht. Am 29. Januar soll es eine Sondersitzung des Verteidigungsausschusses geben, um dort über die Pläne zu beraten.

US-Army bestätigt drei Zwischenfälle mit Uranmunition

Das Hauptquartier der US-Landstreitkräfte in Europa hat drei Zwischenfälle mit uranhaltiger Munition in Deutschland bestätigt. Alle drei Vorfälle hätten sich in den achtziger Jahren in Bayern ereignet, sagte am Freitag Elke Herberger, Sprecherin des in Heidelberg ansässigen Hauptquartiers (USAREUR). Bis zum Ende des Kalten Kriegs habe die so genannte DU-Munition zur Standardbestückung der US-Panzer gehört.

Fünf weitere angenommene Fälle in den Jahren von 1981 bis 1990 könne sie nicht bestätigen. "Alle Akten, die älter sind als zehn Jahre, sind in den USA." Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) hatte zuvor im Bundestag von neun möglichen Zwischenfällen gesprochen und dabei eine Liste aus dem Heidelberger Hauptquartier vorgelesen.

(RPO Archiv)
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