Debatte um Sozialleistung Union lehnt leichteren Zugang zu Hartz-IV ab

Berlin · Arbeitsminister Heil (SPD) will den Zugang zur Grundsicherung reformieren. Auch Sanktionen sollen abgeschwächt werden. Die Gewerkschaften freut es, die Union tobt. Der Wahlkampf beginnt.

 Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales, beim SPD-Parteitag 2019. (Archiv)

Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales, beim SPD-Parteitag 2019. (Archiv)

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Lange hat die SPD mit den Folgen der Hartz-Reformen gehadert, jetzt will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil eine grundsätzliche Kurskorrektur des Hartz-IV-Systems anstoßen – und per Gesetz umsetzen. Doch die geplanten Lockerungen von Sanktionen stoßen bereits auf Widerstand in der Bundestagsfraktion von CDU und CSU. Sozialpolitiker Peter Weiß (CDU) machte am Sonntag deutlich, dass derzeit geltende Vereinfachungen für Hartz-IV-Bezieher nach dem Ende der Corona-Pandemie nicht entfristet werden sollten.

Heil will, dass den Beziehern der Grundsicherung künftig keine außergewöhnlichen Härten mehr durch Sanktionen bei Pflichtverletzungen drohen. Ein als Reaktion auf die Corona-Pandemie eingeführter vereinfachter Zugang zur Grundsicherung für Arbeitssuchende soll zudem „verstetigt“ werden. Das geht aus dem Gesetzentwurf hervor, der unserer Redaktion vorliegt. Im „Spiegel“ hatte Heil angekündigt: „Die Grundsicherung soll ein soziales Bürgergeld werden, für das sich niemand schämen muss, der es braucht.“

Die Sanktionspraxis der Jobcenter hatte das Bundesverfassungsgericht bereits im November 2019 nach jahrelanger Kritik stark eingeschränkt. Nach dem Prinzip „Fördern und Fordern“ hatten die Jobcenter seit 2005 unkooperative Hartz-IV-Empfänger diszipliniert, indem sie ihnen den Geldhahn zudrehten. Das Verfassungsgericht entschied am 5. November 2019, dass monatelange Minderungen um 60 Prozent oder mehr mit dem Grundgesetz unvereinbar sind. Die Jobcenter dürfen die monatlichen Leistungen aber weiter um bis zu 30 Prozent kürzen, wenn Hartz-IV-Empfänger ihren Pflichten nicht nachkommen.

Seit dem Urteil wurde die alte Sanktionspraxis bereits durch Weisungen des Arbeitsministeriums und der Bundesagentur entschärft. Durch die Corona-Pandemie gab es ohnehin weniger Sanktionen. Nun will Heil dauerhaft gesetzlich regeln, dass monatliche Minderungen 30 Prozent des Regelbedarfs nicht überschreiten. Dies soll laut dem Entwurf gelten, wenn Leistungsberechtigte ohne wichtigen Grund wiederholt ihre Pflichten verletzt oder persönliche Meldetermine nicht wahrgenommen haben. Bei jeder Leistungsminderung soll geprüft werden, ob sie im Einzelfall eine außergewöhnliche Härte darstellt. Viel gestritten wurde über Jahre über schärfere Sonderregelungen für Unter-25-Jährige – diese sollen nach Heils Plänen nun  entfallen.

Für einen erleichterten Zugang zur Grundsicherung in der Corona-Krise ist derzeit eine Prüfung der Jobcenter zu Wohnung und Vermögen ausgesetzt – nämlich wie groß die Wohnung der Betroffenen ist und ob diese Ersparnisse bis zu 60.000 Euro haben. Während einer Karenzzeit von zwei Jahren sollen nun dem Entwurf zufolge Vermögen bis zu der genannten Summe geschützt und Mietkosten nicht auf ihre Angemessenheit geprüft werden. Aus dem Ministerium hieß es: „Wir wollen einen Sozialstaat auf Augenhöhe, der mehr Sicherheit bietet und neues Vertrauen schafft.“ So sollten jene, die vorübergehend auf Arbeitssuche sind und durch die Grundsicherung aufgefangen werden, darauf vertrauen können, sich vorerst nicht um das Ersparte und die Wohnsituation sorgen zu müssen.

Für die SPD sind diese Reformpläne von zentraler Bedeutung. Sie sind Teil mehrerer Vorschläge, mit denen sich die Sozialdemokraten mehr als 15 Jahre nach Inkrafttreten der Hartz-IV-Reformen von der Agenda 2010 des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) abwenden wollen. Vor gut einem Jahr hatte die SPD bei ihrem Parteitag nicht nur Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans an die Bundesspitze gewählt – und mit ihnen einen deutlichen Linkskurs eingeschlagen. Die Partei hatte auch ein neues Sozialstaatskonzept verabschiedet, das Eskens und Walter-Borjans’ Vorgängerin Andrea Nahles angestoßen hatte.

Für die Union ist das ein rotes Tuch. CDU-Sozialexperte Peter Weiß sagte, die Union sei gesprächsbereit, die coronabedingten Sonderregelungen zu verlängern, wenn es nötig sei. „Wir stehen aber weiterhin zu dem Grundsatz ,Fördern und Fordern’ und lehnen auch eine Entfristung dieser Sonderregelungen ab.“ Begeistert reagierten die Gewerkschaften auf Heils Pläne. DGB-Chef Reiner Hoffmann sagte: „Das ist ein sozialpolitischer Meilenstein.“ Damit könne der jahrelang schwelende Konflikt um das Hartz-IV-System, das von vielen als diskriminierend erlebt werde, entschärft werden.

Angesichts der Kritik aus der Union ist jedoch absehbar, dass Heils Gesetzentwurf bis zur Wahl im September kaum Chancen auf Umsetzung haben dürfte. Olaf Scholz, Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat, stellt sich daher bereits demonstrativ an die Seite seines Kabinettskollegen. „Die Reform der Grundsicherung ist richtig und wichtig“, sagte Scholz unserer Redaktion. „Noch unter Andrea Nahles hat die SPD entsprechende Ideen entwickelt. Bundesarbeitsminister Heil hat dazu nun einen guten Vorschlag vorgelegt, der bürgerfreundlich und unbürokratisch ist“, sagte Scholz. Er zeigte sich überzeugt: „Die Bürgerinnen und Bürger wollen eine Sozialstaat, auf den sie sich verlassen können.“ Das oberste Ziel bleibe es, Bürgerinnen und Bürger durch gezielte Unterstützung und passgenaue Weiterbildungsangebote möglichst rasch in Arbeit zu bringen, so Scholz.

(jd/dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort