Budapest Ungarn nimmt Flüchtlinge in "Schutzhaft"

Budapest · Kein EU-Staat mauert sich derart ein wie Ungarn. "Grenzjäger" sollen illegal Eingereiste aufgreifen.

Kein Flüchtling oder Migrant solle sich in Ungarn "frei bewegen, niemand das Land oder die Transitzonen verlassen können". Mit diesen Worten kündigte kürzlich János Lázár, der Kabinettschef des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, die nächste Verschärfung des Asylgesetzes an. Künftig werden nicht nur Asylbewerber mit negativem Bescheid in Lagern festgehalten, sondern auch solche, die noch gar keinen Antrag gestellt haben. Den Bescheid müssen sie, so die beschönigende Amtssprache, "in Schutzhaft" abwarten.

Mit kaum verhüllter Häme räumte Orbán bei seiner jüngsten Radioansprache ein, das generelle Einsperren verstoße "klar gegen die EU-Politik". Orbán bemühte als Rechtfertigung ausdrücklich den Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember. Ungarn müsse sich verteidigen. "Nirgendwo ist nationaler Suizid ein Menschenrecht", spitzte der rechtsnationale Regierungschef die Situation in bizarrer Rhetorik zu.

Kein EU-Staat mauert sich derart ein wie Ungarn. Die Grenzen zu Serbien und Kroatien sind mit meterhohen Stahlzäunen abgeschottet. Über zwei Transitzonen werden täglich höchstens 30 Asylsuchende ins Land gelassen. Bislang wurden sie in offenen Lagern untergebracht, künftig werden sie interniert.

Budapest stellt Schutzsuchende pauschal unter Terrorverdacht, Kabinettschef Lázár spricht von "Eindringlingen" und "Herumtreibern". Menschenrechtler wie das ungarische "Helsinki-Komitee" kritisieren, dass der "automatische Freiheitsentzug" sowohl gegen die europäische Menschenrechtskonvention als auch gegen EU-Recht verstoße. Schon bisher durften zivile Helfer die Lager nicht betreten. Die Kommission in Brüssel schweigt - sie toleriert es, wenn Orbán den Schengen-Raum abschottet.

Weil immer wieder einzelne Flüchtlinge ein Loch im Zaun finden, stellt die Regierung eine "Grenzjäger"-Brigade auf. Orbán schickte Ende voriger Woche die ersten 500 im Schnellverfahren gedrillten Sonderpolizisten auf Jagd nach illegalen Flüchtlingen. In seiner Ansprache bläute er den meist jungen Männern ein, sie hätten es nicht mit Flüchtlingen, sondern mit Verbrechern zu tun: "Sie wollen nicht die europäischen Gesetze und Traditionen respektieren, sondern ihre eigenen Traditionen mit Gewalt, Kriminalität und Terror fortsetzen."

Die Folgen der ungarischen Abschottungspolitik bekommt vor allem Serbien zu spüren. Dort bahnt sich eine neue Flüchtlingstragödie an. Nach Angaben von "Ärzte ohne Grenzen" halten sich derzeit in dem Land 8500 Migranten auf, doch gibt es nicht einmal für die Hälfte ein winterfestes Quartier. Am Belgrader Busbahnhof müssen seit Wochen rund 1000 Afghanen und Pakistanis bei Minustemperaturen im Freien ausharren. Die Behörden hätten Hilfsorganisationen verboten, die Flüchtlinge mit Nahrung und Kleidung zu versorgen, berichtete "Ärzte ohne Grenzen".

(RP)
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