Kanzler Scholz in New York Tage der vereinten Optionen

New York · Kanzler Scholz versucht in New York, so viele Staaten wie möglich hinter der Sanktionslinie des Westens und für eine diplomatische Lösung des Krieges in der Ukraine zu versammeln. Doch dann muss Scholz auf eine neue Nachricht aus Moskau reagieren.

Große Welt, große Last, große Aufgabe: Bundeskanzler Olaf Scholz kritisiert in New York Russlands Teilmobilmachung als „Akt der Verzweiflung“.

Große Welt, große Last, große Aufgabe: Bundeskanzler Olaf Scholz kritisiert in New York Russlands Teilmobilmachung als „Akt der Verzweiflung“.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Über Nacht hat sich die Lage neu entwickelt. Wieder einmal. Russland zündet im Ukraine-Krieg mit der Teilmobilmachung von 300.000 Reservisten die nächste Eskalationsstufe. Olaf Scholz steht am nächsten Morgen im Bryant-Park, einem beliebten Platz mitten in Manhattan, den er tags zuvor schon gemeinsam mit dem Schriftsteller Daniel Kehlmann erkundet hat. Perfekte Kulisse für Bilder aus New York. Aber nun will und muss der Bundeskanzler etwas zur Nachricht über die Teilmobilmachung sagen, die der russische Präsident Wladimir Putin ausgerufen hat. Es ist gewissermaßen Putins zweite Kriegserklärung. Ein „Akt der Verzweiflung“ sei dieser Schritt des Kreml-Herrschers. Vor allem: „Das macht alles nur noch schlimmer“, sagt Scholz. Putin habe „von Anfang die Situation komplett unterschätzt“. Die angekündigten „Scheinreferenden“ in ukrainischen Regionen über einen Beitritt zu Russland würden „niemals akzeptiert“. „In der Welt, in der wir leben, muss das Recht über die Gewalt siegen, und kann nicht die Gewalt stärker sein als das Recht“, betont der Kanzler.

Noch am Abend zuvor -- als Deutschland schon schläft -- hat Scholz den russischen Machthaber sehr offensiv für dessen Kriegskurs in der Generalversammlung der Vereinten Nationen attackiert. Ruhig im Ton, fast leise, aber klar in den Worten. Es ist Jahre her, dass Angela Merkel als Bundeskanzlerin hier eine Rede gehalten hat. Nun also hat Scholz in der Nacht zu Mittwoch wieder eine deutsche Visitenkarte als Regierungschef auf den Tisch der UN-Vollversammlung gelegt. Es ist da 02.25 Uhr deutscher Zeit. Der Bundeskanzler nimmt sich in seiner allersten Rede bei einer UN-Generaldebatte den russischen Präsidenten und dessen „Eroberungskrieg“ in der Ukraine vor. Der Machthaber im Kreml verfolge einen Kurs des „blanken Imperialismus“. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron geißelt den Imperialismus des Kreml-Herrschers. Am Mittwoch dann wird US-Präsident Joe Biden dazu klare Worte finden. Biden sagt, Putin habe „auf schändliche Weise“ die UN-Charta missachtet und mobilisiere nun weitere Soldaten für den Krieg in der Ukraine. Es sind Tage der vereinten Optionen bei den vereinten Nationen, wenn sie sich als Staatengemeinschaft richtig zusammentäten. Wobei bei Scholz und Macron allerdings nicht klar wird, wieviel sie bei der Unterstützung der Ukraine noch nachlegen können. Der Kanzler gibt sich dennoch kämpferisch. Putin werde diesen Krieg und seine imperialen Ambitionen nur aufgeben, wenn er erkenne: „Er kann diesen Krieg nicht gewinnen.“ Am Tisch der Russischen Föderation sitzt zu diesem Zeitpunkt im Saal eine einsame Mitarbeiterin. Außenminister Sergej Lawrow darf erst am Samstag vor der Generalversammlung sprechen. Scholz erklärt später in seiner Rede in der Passage „Verantwortung“ noch, dass Deutschland bereit sei, eine größere Rolle in der Welt zu übernehmen: mit einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat.

Am nächsten Morgen, nach Ausklang seiner UN-Premierenrede in einem Steakhaus, geht Scholz zum Interview mit der „New York Times“. Dort kann er erklären, wie Deutschland es in der Rubrik „Unterstützung“ etwa bei der Lieferung von deutschen „Leopard“-Kampfpanzern an die ukrainischen Streitkräfte halten will. Vorsorglich hatte ein Kanzler-Berater noch vor dem Abflug nach New York darauf verwiesen, dass der deutsche Regierungschef die Lieferung von Kampfpanzern ja nie völlig ausgeschlossen habe. Man weiß ja nie, schließlich befinde man sich in einer „sehr dynamischen Situation“. Weil in dieser komplizierten Welt alles mit allem zusammenhängt, betont Scholz bei einem Forum über weltweite Ernährungssicherheit in Zeiten des Krieges in der Ukraine, der europäischen Kornkammer, es sei „unerlässlich“, dass Russland das Getreideabkommen voll erfülle und die Ausfuhr aus ukrainischen Häfen nicht behindere.

Neben Scholz ist in diesen Tagen der UN-Generalversammlung auch Außenministerin Annalena Baerbock in New York. Die beiden absolvieren einen gemeinsamen Termin bei einem Treffen mit Vertreterinnen und Vertretern jüdischer Organisationen, gehen aber ansonsten getrennter Terminwege. Baerbock ist mit eigener Agenda angereist. Angebliche oder tatsächliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Scholz und Baerbock in der Frage der Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine hatte zumindest das Kanzleramt dementiert. Nein, die Linie sei klar und abgestimmt: keine deutschen Alleingänge. Auch die Außenministerin wollte das Thema nicht mehr größer machen. Dazu sei nun alles gesagt. Baerbock will in New York Deutschlands Ziel eines eigenen Ständigen Sitzes im UN-Sicherheitsrat vorantreiben. Scholz hatte in seiner Rede ja betont, Deutschland sei bereit, eine größere Rolle in der Welt zu übernehmen. Jetzt bearbeitet Baerbock dieses Feld – wie mehrere deutsche Außenminister schon vor ihr. Die Reform des UN-Sicherheitsrates sei das Bohren „sehr, sehr dicker Bretter“, hatte einer von Scholz‘ Beratern gesagt. Sie bohren weiter. Irgendwann muss der Durchbruch doch gelingen.

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