Letzte Chance für den Klimaschutz? Was man zur UN-Konferenz in Glasgow wissen muss

Berlin · In Glasgow treffen sich die Staaten zur Weltklima-Konferenz. Die Herausforderungen sind riesig, die Erwartungen klein. Ein Knackpunkt ist der Konflikt zwischen China und dem Westen. Was Klimaschützer, Industrie und Politik erwarten.

 Braunkohle ist eine der größten Klimaschädlinge (Symbolbild).

Braunkohle ist eine der größten Klimaschädlinge (Symbolbild).

Foto: Patrick Pleul / dpa

Lange haben viele den Klimawandel nicht ernst genommen. Doch seit auch in Europa Wetterextreme wie Dürre und Flutkatastrophen zunehmen, ist das Thema angekommen. Und die Lage ist ernst: 2020 war weltweit das zweitwärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Eine Erhöhung der mittleren globalen Temperatur um 1,5 Grad bis zum Jahr 2040 ist kaum noch zu vermeiden, fürchten Experten wie die Forscher des Wuppertal-Instituts.

Was ist das Problem beim Klimawandel? Wenn es nicht gelingt, den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen, droht weltweit eine Zunahme von Hitze und Dürren, von Nahrungsmittelknappheit und Hunger, von Überflutungen. Die größte Sorge gilt den Kipppunkten, wenn die Erderwärmung zu plötzlichen, unumkehrbaren Entwicklungen führen würde. Solche Kippunkte wären zum Beispiel, wenn das arktische Meereis schmilzt, wenn die Permafrostböden tauen und die in ihnen gebundenen Mengen an Kohlendioxid oder Methan freisetzen, oder wenn gar der antarktische Eisschild schmilzt.

Wer sind die größten Klimasünder? Das kommt darauf an, wie man misst. Schaut man auf den absoluten Ausstoß an Kohlendioxid (CO2), ist China der größte Sünder - weit vor den USA, Indien und Russland. Und während viele Länder aus der Kohle aussteigen wollen, baut das bevölkerungsreichste Land der Welt immer neue Kraftwerke: Aktuell hat China über 200 Kohlemeiler in Planung oder Bau. Auch in Indien, dem zweitbevölkerungsreichsten Land, setzt man weiter voll auf Kohle. Deutschland folgt in der Sünderliste kurz später. Hier tragen vor allem die Braunkohlekraftwerke in NRW und der Lausitz, die derzeit wieder alle laufen, zu den Emissionen bei. Gemessen am Pro-Kopf-Ausstoß sind Katar und Saudi-Arabien die größten Sünder, aber auch Australien und die USA. Hier liegt China noch weit hinter Deutschland.

In welchen Bereichen entsteht am meisten CO2? Rund ein Drittel des CO2-Ausstoßes in Deutschland entfällt auf die Energiewirtschaft. Darum setzte die Politik hier als erstes an, Versorger in der EU müssen seit Jahren Verschmutzungszertifikate kaufen, die immer teurer werden. Je ein Fünftel der Emissionen entfallen auf Industrie und Verkehr. An den Verkehr wagte sich die deutsche Politik lange nicht heran, auch nicht an die Haushalte, die für zehn Prozent der Emissionen stehen. Seit Anfang des Jahres gibt es für die Bereiche, die nicht in den Europäischen Emmissionshandel einbezogen sind, eine CO2-Bepreisung. Die Folgen bekommen die Verbraucher bereits zu spüren. So sollen Firmen und Verbraucher angereizt werden, auf klimafreundliche Mobilität und Heizung umzusteigen.

Was ist die Weltklimakonferenz? Die Weltklimakonferenz tritt jährlich zusammen, immer in einem anderen Land. Auf Einladung der Vereinten Nationen debattieren rund 200 Staaten zwei Wochen lang, wie die Erderwärmung auf ein noch erträgliches Maß eingedämmt werden kann. COP steht kurz für „Conference of the Parties“, also die Konferenz der Parteien - gemeint sind jene Staaten, die die Klima-Rahmenkonvention unterschrieben haben. Dieses Jahr trifft man sich in Glasgow zum 26. Mal - daher COP26. Es reisen 25.000 Menschen an - Regierungsvertreter sowie Tausende Journalisten und Klimaaktivisten.

Was soll die Konferenz für den globalen Klimaschutz bringen? Ziel ist es, die Weltgemeinschaft auf den Pfad von 1,5 Grad Erderwärmung zu bringen. Das bedeutet gewaltige Anstrengungen, wenn man bedenkt, dass Klimaforscher bereits zum jetzigen Zeitpunkt eine Erwärmung um 1,1 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter berechnet haben. Bliebe es bei den aktuellen Klimaschutzplänen, steuert die Erde auf eine Erwärmung von knapp drei Grad zu. Das hätte fatale Folgen für Hunderte Millionen Menschen weltweit.

Welche Dinge werden verhandelt? In der Abschlusserklärung, die für den 12. November geplant ist, soll bestenfalls festgehalten werden, wie die Staatengemeinschaft konkret auf den 1,5-Grad-Pfad kommen will. Doch dass Regierungen in Glasgow quasi spontan ehrgeizigere Klimaschutz-Ziele zusagen, ist unwahrscheinlich. Zudem geht es um die Finanzierung der Maßnahmen. Die reichen Länder und Entwicklungsbanken haben zwar vor Jahren versprochen, von 2020 bis 2025 jährlich 100 Milliarden Dollar dafür zu mobilisieren. Diese Summe wird nun aber wohl erst 2023 erreicht, wie Vertreter von Deutschland, Kanada und Großbritannien mitteilten. Das sorgt vorab für Frust bei Entwicklungsländern - und gilt schon jetzt als Hypothek für das Treffen in Glasgow.

Welche Erwartungen haben die Ampel-Parteien? Die Erwartungen an den Gipfel sind hoch. „Die Zeit des Redens ist schon längst vorbei und ich hoffe, dass da endlich ein Ruck durch die Staatengemeinschaft geht“, sagte der Grünen-Klimapolitiker Oliver Krischer unserer Redaktion, der für die Grünen die Klima-Arbeitsgruppe in den Koalitionsverhandlungen leitet. Die wissenschaftlichen Berichte würden nur eine Richtung kennen: „Das Problem wird immer größer, und wir haben nicht mehr viel Zeit zum Umsteuern“, so Krischer. Zwar sei schon einiges passiert, aber in vielen Länder gebe es bisher bloß Absichtserklärungen. „Die großen internationalen Klimaverhandlungen sind immer auch eine Art Motivationstraining für solche Länder, die sich noch nicht richtig trauen.“ Der SPD-Energiepolitiker Timon Gremmels, der ebenfalls teilnimmt, betont den Handlungsdruck, um die Pariser Klimaziele noch erreichen zu können.

Welche Rolle kommt Deutschland bei der COP26 zu? Deutschland verhandelt als Teil der EU-Delegation. Laut Bundesumweltministerin Svenja Schulze will man sich dafür einsetzen, dass die EU geschlossen für mehr Klimaschutz eintritt. Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth attestierte dem Kampf gegen den Klimawandel große Fortschritte. Viele Länder hätten sich zuletzt verpflichtet, bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu werden, so Flasbarth. Einzeln betrachtet hätten die Weltklimakonferenzen bislang - mit Ausnahme von Paris - keine großen Durchbrüche gebracht. Die COP26 sei Teil der „langen Wegstrecke“ hin zu mehr Klimaschutz. Krischer hob die Vorbildfunktion Deutschlands hervor: „Mit der Sondierungsvereinbarung zu einem vorgezogenen Kohleausstieg sendet Deutschland ein starkes Signal nach Glasgow, dass ein großes Industrieland zeitnah auf die Nutzung der Kohle verzichten will.“ Die Ampel will den Kohle-Ausstieg in Deutschland von 2038 auf 2030 vorziehen

Was ist das Problem beim Klimaschutz? Grundsätzlich geht es um die Verteilung von Lasten und Chancen. Was hilft es, wenn Deutschland aus der Kohle aussteigt, aber China und Indien mehr denn je auf Kohle setzen? Und darf der Westen, der selbst durch massive Nutzung der Kohle groß geworden ist, jetzt Entwicklungsländer um ihre Wachstumschancen bringen? Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, mahnt bereits: „Gerade Deutschland hat aufgrund seiner historischen Emissionen eine besondere Verpflichtung für das Weltklima.“ Andererseits bringt einseitiger Klima-Ehrgeiz eines Landes nur wenig und schadet seiner Wirtschaft: „Für eine Industrie wie die deutsche, die im globalen Wettbewerb steht, ist es eine einseitige Belastung, wenn sie zuhause scharfe Sektorziele zu erfüllen hat, die international so nicht gelten", warnte Holger Lösch, Vize-Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie, und fordert mehr internationale Kooperation im Kampf gegen die Erderwärmung.

Wo liegen die Knackpunkte in Glasgow? Umweltministerin Schulze sieht besonders den Emissionshandel als kritischen Punkt. Dabei geht es um den Artikel 6 des Pariser Abkommens, der die Zusammenarbeit zwischen Staaten oder zwischen Firmen und Staaten regelt. Umstritten ist noch, wer sich Minderungen beim Ausstoß von Treibhausgasen anrechnen darf, um Doppelbuchungen und damit eine Verfälschung des tatsächlichen Fortschritts auszuschließen. Schulzes Parteikollege Gremmels erwartet zudem beim Thema Atomkraft „spannende Debatten“. Dabei spricht er sich klar gegen eine Renaissance der Atomkraft aus, der entstehende Müll werde die Umwelt „für Millionen Jahre“ belasten. Frankreich hingegen setzt auf Atomkraft als Heilmittel gegen den Klimawandel.

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