Umgangsstil in Spitzenämtern

Unter Stress zeigen auch in der Politik die Chefs oft ihren wahren Charakter. Die engsten Büromitarbeiter können ein Lied davon singen. Und die Fahrer. Sie haben leidvolle Erfahrungen damit gemacht, wie Volksvertreter reagieren, wenn sie im Berliner Verkehr stecken bleiben. Auf Partei und Status komme es dabei nicht an, berichten Service-Kräfte am Lenkrad. Natürlich inoffiziell. Denn Verschwiegenheit gehört zum Geschäft. Doch wenn sie ausgerechnet von "basisdemokratisch" orientierten Politikerinnen aus der Opposition angeschnauzt und beschimpft werden, dann macht das in Fahrerkreisen schon mal die Runde: "Achtung, Cholerikerin."

Wozu Männer in hohen und höchsten Staatsämtern in der Lage sind, lässt sich im Detail schlecht verbürgen. Aber zu den "nicht einfachen" Präsidenten gehören dem Vernehmen nach Richard von Weizsäcker und Horst Köhler. Bei letzterem soll in einem Wutanfall auch schon einmal ein Briefbeschwerer durchs Büro geflogen sein. Ex-Innenminister Otto Schily (SPD) hat es selbst eingeräumt: Zumindest einmal habe er in seiner Verärgerung über seine Mitarbeiter die Nerven derart verloren, dass er einen gut gefüllten Aktenordner über den Schreibtisch warf. Edmund Stoiber (CSU) sah sich als bayerischer Ministerpräsident nahezu immer im Dienst – und verlangte das auch von seinen Mitarbeitern. Als einer von ihnen tatsächlich an einem Sommerabend "schon" um 21 Uhr gehen wollte, konnte Stoiber dieses Ansinnen kaum fassen: "Es ist doch noch hell draußen."

Aber es gibt viele Gegenbeispiele. Die meisten Minister verlassen sich ihr ganzes politisches Leben lang auf die vertrauten Gesichter in ihrer Umgebung, die mit ihnen durch Ämter und Funktionen wechseln. Und manchmal kommt es dabei sogar zu Freundschaften. So wie zwischen Peter Struck (SPD) und dem Journalisten Norbert Bicher, den er als Sprecher in die Fraktion holte und mit ins Verteidigungsministerium nahm. "Norbert, was machen wir da?", war ein Standardspruch. Der Mitarbeiter als Gegenteil eines Fußabtreters: wichtigster Berater und geheime Entscheidungsinstanz. Angela Merkel (CDU) pflegt einen persönlichen und herzlichen Umgangsstil. Als einer ihrer früheren Personenschützer in Afghanistan ums Leben kam, erschien unangekündigt auch die Kanzlerin am Grab, um still mit der Familie zu trauern. Völlig ohne Aufhebens. Spätestens seit diesem Erlebnis lassen die Mitarbeiter im Kanzleramt nichts auf ihre Chefin kommen.

(Rheinische Post)
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