Ukraine Julia Timoschenko hat ihre Chance fast verspielt

Kiew · Die ukrainische Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko ist vor der Präsidentenwahl Umfragen zufolge abgeschlagen. Doch wie kommt es, dass der Stern der einstigen Ikone der Orangen Revolution so verblasst ist? Die umstrittene "Gas-Prinzessin" steht sich anscheinend selbst im Weg.

 Julia Timoschenko während eines Wahlkampfauftritts.

Julia Timoschenko während eines Wahlkampfauftritts.

Foto: ap

Aggressive Töne sind das Markenzeichen von Julia Timoschenko. Die zierliche Frau mit dem Madonnengesicht teilt aus, was das Zeug hält. "Ich bin bereit, eine Kalaschnikow zu nehmen und dem Mistkerl in den Kopf zu schießen!", sagte sie über Wladimir Putin am Telefon - das Gespräch wurde vom russischen Geheimdienst mitgeschnitten. Von den USA forderte Timoschenko zur Bekämpfung der Separatisten in der Ost-Ukraine militärische Hilfe. Und ihren politischen Widersacher im Rennen um die ukrainische Präsidentschaft, Milliardär Petro Poroschenko, nennt die Politikerin verächtlich eine "Kompromissfigur für die Oligarchen". Für den Fall seines Sieges droht sie mit einer "dritten Revolution".

Zurzeit deutet alles daraufhin, dass der proeuropäische Poroschenko die Wahl am Sonntag gewinnen wird. Umfragen sehen den 48-jährigen Süßwarenfabrikanten zwischen 33,7 und 40 Prozent. Julia Timoschenko (53), die für ihre "Vaterlandspartei" an den Start geht, liegt mit Werten zwischen sechs und 8,8 Prozent weit abgeschlagen auf Platz zwei. Manche Politologen gehen sogar davon aus, dass Poroschenko im ersten Wahlgang siegt.

Einstige Ikone der Orangen Revolution

Doch wie kommt es, dass der Stern der einstigen Ikone der Orangen Revolution so verblasst ist? Julia Timoschenko war die gefährlichste Widersacherin des mittlerweile gestürzten Präsidenten Viktor Janukowitsch. Mit ihrem damaligen Mitstreiter Viktor Juschtschenko entlarvte sie 2004 Janukowitsch als Wahlfälscher und jagte ihn aus dem Amt. Nach der erfolgreichen Revolution wurde Juschtschenko Präsident, Timoschenko Premierministerin. Doch dann zerstritten sich die beiden so heftig, dass die genervten Wähler 2010 wieder Janukowitsch zum Präsidenten wählten.

Kaum im Amt, sorgte Janukowitsch dafür, dass Timoschenko 2011 in einem international kritisierten Prozess wegen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Zwei Jahre saß Timoschenko in Haft; das Schicksal der politischen Gefangenen überschattete die Fußball-EM, die die Ukraine 2012 gemeinsam mit Polen ausrichtete. Bemühungen der Bundesregierung, Timoschenko wegen ihres Rückenleidens eine Behandlung in Berlin zu ermöglichen, scheiterten an Janukowitschs Sturheit. Selbst als die EU im November versuchte, ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine auszuhandeln, war Timoschenkos Freilassung noch ein schwieriger Punkt.

Während der Proteste auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz, dem Maidan, hing Timoschenkos überlebensgroßes Porträt hoch oben auf dem Gerüst eines geplünderten Weihnachtsbaums. Der Maidan kämpfte erfolgreich für Timoschenkos Freilassung - doch das Bild ist längst verschwunden. "Timoschenko hat entscheidende Fehler gemacht", konstatiert der Historiker und Ukraine-Experte Wilfried Jilge. Am 22. Februar, als Janukowitsch nach Russland geflohen war, trat die aus der Haft befreite Timoschenko im Rollstuhl auf dem Maidan auf. An den Tagen zuvor waren bei Straßenschlachten 82 Menschen gestorben. Doch Timoschenko gab die charismatische Führerin, verkündete in kämpferischem Ton ihre Präsidentschaftskandidatur. "Dieser Auftritt passte nicht zu der Trauerstimmung der Menschen auf dem Maidan. Das hat man ihr übelgenommen", sagt Wilfried Jilge.

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Der Wunsch nach Ordnung

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Hauptsächlich steht sich Timoschenko mit ihrer polarisierenden Persönlichkeit aber selbst im Weg. "Ihre Radikalität entspricht nicht dem Wunsch vieler Wähler nach Stabilität und Ordnung", sagt Jilge. Viele glauben, dass der untersetzte und bedächtige Schokoladenzar Poroschenko das Land besser führen kann als die streitsüchtige und machtgierige Timoschenko. Beide Kandidaten stehen für eine proeuropäische Ausrichtung. Doch obwohl es in den Programmen viele Übereinstimmungen gibt, fährt Timoschenko ständige Attacken gegen ihren Mitbewerber. Mal denunziert sie ihn als Lakaien Moskaus, mal als Handpuppe der Oligarchen.

Böse Zungen behaupten, Julia Timoschenko habe sogar ein Interesse daran, die Unruhen und Kämpfe in der Ost-Ukraine anzuheizen - unter den gegebenen Umständen ist dort eine freie und demokratische Wahl am 25. Mai kaum denkbar. So hätte Timoschenko die Möglichkeit, entweder Poroschenkos Sieg infrage zu stellen - oder zumindest die Stichwahl um Wochen zu verzögern.

(RP)
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