Aleppo Überleben in den Trümmern von Aleppo

Aleppo · Ihre Wohnung in einem Rebellenviertel ist gerade noch bewohnbar: Damit ist Familie Chatib besser dran als viele ihrer Nachbarn.

Die Straße sieht aus, als sei sie von einem Erdbeben verwüstet worden. Das ausgebombte Haus in einem früher von Rebellen gehaltenen Viertel der syrischen Stadt Aleppo steht bis auf eine Wohnung im zweiten Geschoss leer. Dort leben Abdel-Hamid Chatib und seine Familie. Es gibt keinen Strom und kein fließendes Wasser, die Fenster sind mit Nylontüchern abgedeckt. Ein von einer Granate in die Wand des Wohnzimmers gerissenes Loch ist mit einem Metallstück verschlossen, durch das das Abzugsrohr für den Holzofen verläuft.

Chatib und seine Familie sind die einzigen Bewohner des sechsstöckigen Gebäudes. Das Haupteingangstor haben sie mit einer Metallkette verschlossen, sie fürchten sich vor Plünderern. Kerzen sorgen in der Wohnung mit zwei Schlafzimmern nachts für ein wenig Licht. Einen anderen Zufluchtsort hat die Familie nicht. Der 56-jährige Schmied war monatelang arbeitslos und konnte sich keine Mietzahlungen mehr leisten. Er befürchtete, dass ihre Wohnung im Viertel Ansari komplett geplündert würde, wenn sie weiter wegblieben. "Vor ein paar Tagen hat mich ein Mann gefragt, "kann es sein, dass ihr hier lebt?" Ich sagte, "wohin können wir denn gehen?" Zumindest ist das unser Haus, und niemand wird uns auffordern zu gehen", sagt Chatibs Frau Hasnaa.

Das Leben und der Krieg haben der Familie schwer zugesetzt. Ihr ältester Sohn Mohammed wurde bei der Bombardierung Ost-Aleppos 2013 getötet. Ein Jahr später wurde auch ihre vierjährige Enkelin tödlich von einer Kugel getroffen, während sie auf dem Balkon der elterlichen Wohnung spielte. Sohn Mahmud kam bei der Arbeit ums Leben, er erlitt beim Schweißen eines mit Gas gefüllten Behälters schwere Verbrennungen. Seit Rebellen, die gegen den syrischen Präsidenten Baschar al Assad kämpfen, den Osten Aleppos im Juli 2012 stürmten, musste die Familie zwei Mal aus dem Haus in sicherere Gegenden umziehen, jedes Mal kehrte sie wieder zurück.

Doch im August 2016, als Regierungstruppen ihre Offensive verstärkten, zwang sie ein Luftangriff ein drittes Mal zur Flucht. "Es war so gefährlich, und unsere Kinder hatten schreckliche Angst, so dass wir es nicht mehr ertragen haben", sagt der Familienvater.

Ende Dezember brachten Regierungstruppen und ihre Verbündeten den Osten Aleppos und damit die gesamte Stadt wieder unter ihre Kontrolle - Assads größter Sieg seit Beginn des Konflikts im März 2011. Wie viele der Bewohner von Ost-Aleppo wurde auch die Familie Chatib in Notunterkünfte im nahegelegenen Dorf Dschibrin gebracht. Nach einer Woche, Anfang Januar, kehrte sie in ihre Heimatstadt zurück. Um eine neue Wohnung zu mieten, fehlt der Familie das Geld, deshalb zog sie wieder in ihre alte in Ansari und reparierte sie so gut wie möglich.

Viele Einrichtungsgegenstände waren gestohlen worden, darunter der Kühlschrank, der Herd und eine Mikrowelle. Für den Diebstahl macht Chatib sowohl Rebellen als auch Regierungstruppen verantwortlich. Das Paar lebt jetzt mit einer Tochter, der Schwiegertochter und zwei Enkeln in der Wohnung. Dabei ist ihre Wohnung in einem vergleichsweise gutem Zustand. Beide Nachbargebäude sind unbewohnbar. Die meisten Häuser in der Gegend sind nur noch ein Haufen aus Metall und Steinen.

Das Heim der Chatibs erregt die Aufmerksamkeit von Passanten: Es ist die einzige Wohnung in der Straße, wo Wäsche auf dem Balkon hängt und Rauch aus dem Ofen aufsteigt. Tausende andere Familien aus Ost-Aleppo sind ebenfalls in ihre Wohnungen zurückgekehrt, weil sie keinen anderen Zufluchtsort haben. Andere kommen, sehen sich ihre Wohnung an und nehmen mit, was sie tragen können - besonders jene aus schwer beschädigten Gebäuden. Eine Nachbarsfamilie musste feststellen, dass ihre nur 50 Meter entfernte Wohnung jeden Moment einzustürzen droht.

Abdel-Hamid Chatib ist trotz allem optimistisch, dass die Lage in Aleppo nur besser werden kann. Doch seine Frau wünschte, die Familie wäre wie fast vier Millionen andere Syrer in ein Nachbarland wie den Libanon oder die Türkei geflüchtet. "Ich finde, das Leben war so ungerecht zu mir. Obwohl ich am Leben bin, fühle ich mich wie tot", sagt Hasnaa Chatib. "Ich wünschte, wir wären zu Beginn der Krise weggegangen, selbst wenn wir auf der Straße hätten leben müssen."

(ap)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort