Türkische Regierung brüskiert Israel

istanbul Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan setzt in der Außenpolitik zunehmend auf raue Töne und Konfrontation. Nur einen Tag nach seiner Ankündigung, die Beziehungen der Türkei zur EU im kommenden Jahr für sechs Monate einzufrieren (weil Zypern dann die Ratspräsidentschaft innehat) und in der Zypernfrage keine Zugeständnisse mehr zu machen, sorgte Erdogan mit einer Äußerung zum gespannten Verhältnis zu Israel für Schlagzeilen: Er möchte den von Israel abgeriegelten Gaza-Streifen besuchen – und zwar nicht von Israel aus, sondern über Ägypten.

Im offenen Gegensatz zu dieser Ankündigung bemühen sich Diplomaten seit Monaten, in vertraulichen Gesprächen die Dauer-Krise zwischen der Türkei und Israel beizulegen. Auslöser für die Spannungen war der Tod von neun türkischen Aktivisten beim israelischen Angriff auf die Gaza-Flotille im Mai vergangenen Jahres. Die Türkei verlangt eine Entschuldigung und Entschädigungszahlungen Israels an die Familien der Opfer. Offiziell lehnt Israel beides ab.

Bei den vertraulichen Gesprächen deutet sich aber offenbar eine Lösung an. Botschafter Özdem Sanberk, einer der türkischen Unterhändler, sagte vor wenigen Tagen, er rechne mit einer Beilegung der Krise bis Ende des Monats. Auf beiden Seiten gebe es den politischen Willen dazu, heißt es, vor allem Jerusalem scheine an einer Lösung interessiert zu sein.

Der Zeitung "Radikal" zufolge rief die Türkei die Israelis auf, die Entschuldigung spätestens am Mittwoch zu veröffentlichen. An diesem Tag soll eine Untersuchungskommission der UN ihren Bericht über den israelischen Angriff vorlegen. Sollte Israel dieses Datum verstreichen lassen, würde sich die Krise vertiefen. In vertraulichen Gesprächen wird um jedes Wort gerungen – etwa um die Frage, ob es ausreicht, wenn Israel sein "Bedauern" über den Tod der Aktivisten ausdrückt, ohne sich formell zu entschuldigen.

In diese delikate Konsenssuche platzte Erdogan nun mit seiner Ankündigung des Gaza-Besuchs. Der türkische Premier will im August nach Kairo reisen und lässt die Möglichkeit eines anschließenden Abstechers nach Gaza ausloten. Ein Besuch Erdogans in Gaza über Ägypten – und nicht über israelisches Territorium – wäre ein klarer Affront Israel gegenüber.

Dieser Stil entspreche einer neuen außenpolitischen Linie Ankaras, sagt Celalettin Yavuz, Vizedirektor der Denkfabrik Türksam in Ankara. Erdogans Regierung sei zu dem Schluss gekommen, dass die auf Kompromissbereitschaft ausgerichtete Politik der vergangenen Jahre keinerlei Ergebnisse gebracht habe. Das gelte für die Lage auf Zypern ebenso wie für die Beziehungen zur EU.

Deshalb gehe die türkische Politik nun zu handfesteren Formulierungen und Forderungen über, sagte Yavuz. Im Falle Israels wisse Erdogan darüber hinaus, dass Kritik an Israel innenpolitisch Pluspunkte bringe und auch bei vielen Menschen im Nahen Osten populär sei. "Deshalb spielt er hin und wieder diese Karte."

Innenpolitisch geht Erdogan kein großes Risiko ein. Eine Entschuldigung Israels könnte er als Erfolg verkaufen, die Verweigerung einer Entschuldigung wäre für die allermeisten Türken ein weiterer Beweis dafür, dass sich Israel über internationale Normen hinwegsetzt. Die Gaza- und Siedlungspolitik des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu trägt nicht dazu bei, dieses Bild zu korrigieren. Insbesondere Außenminister Avigdor Lieberman gilt in der Türkei als unverbesserlicher Hardliner, der jeden israelisch-türkischen Aussöhnungsversuch sabotiert.

(RP)
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