Athen Tsipras spielt mit dem Feuer

Athen · Der Widerstand gegen den Reformkurs wird innerhalb der Regierung in Athen immer stärker.

Ein Vierteljahr nach seiner unerwartet klaren Wiederwahl bleibt die Lage für den griechischen Premier Alexis Tsipras kritisch. Die parlamentarische Mehrheit der Koalition, die er Ende September mit den rechtspopulistischen "Unabhängigen Griechen" erneuerte, ist auf 153 der 300 Parlamentsmandate geschrumpft. Das ist kein üppiges Polster, wenn man an die schwierigen Abstimmungen denkt, die in nächster Zeit anstehen.

Zwar ist es dem gewieften Taktiker bisher immer noch gelungen, in letzter Minute die wichtigen Schlachten im Parlament für sich zu entscheiden. So brachte Tsipras vor zehn Tagen den Sparhaushalt 2016 durch das Sperrfeuer der innerparteilichen Opposition. Und am Dienstag gelang es dann auch, im Eilverfahren ein weiteres, innerhalb der Regierungsparteien höchst umstrittenes Reformpaket zu verabschieden. Es enthielt 13 Vorgaben, darunter eine Restrukturierung der Privatisierungsbehörde und die Teilprivatisierung des staatlichen Stromnetzbetreibers Admie. Ein weiterer Punkt: ein Regelwerk zur Konsolidierung notleidender Bankkredite. Außerdem sieht das Paket eine neue Besoldungsordnung für den Staatsdienst vor, die bereits am 1. Januar in Kraft treten wird. Sie soll leistungsbezogen sein und die Qualifikation der Beschäftigten stärker berücksichtigen.

Wie jedes Mal bei diesen Zitterpartien im Parlament hing es auch diesmal von der Zustimmung der Abgeordneten ab, ob Griechenland die nächste Kreditrate von seinen internationalen Geldgebern erhält. Athen braucht das Geld dringend, weil die Steuereinnahmen in den ersten zehn Monaten um 2,1 Milliarden Euro unter dem Plan lagen. Außerdem werden im Januar und Februar für Zinsen und Tilgungen der Staatsschulden gut 1,7 Milliarden Euro fällig.

Bisher ging alles gut, aber spätestens Mitte Januar kommt es für Tsipras zum Schwur: Dann muss die immer wieder aufgeschobene Rentenreform durchs Parlament. Ob der Premier dafür in der Koalition eine Mehrheit findet, ist fraglich.

Weiter verzögern kann Tsipras die Sanierung der desolaten Rentenfinanzen nicht. Ohnehin ist er mit den Reformschritten, die Griechenland im vergangenen Sommer als Gegenleistung für die neuen Milliardenkredite versprechen musste, weit in Rückstand geraten. Die erste Überprüfung durch die Vertreter der Geldgeber sollte eigentlich bereits im Oktober abgeschlossen sein. Dazu kam es nicht, weil Tsipras Ende September Neuwahlen veranstaltete. Dann war von November, später von Dezember die Rede. Inzwischen geht man in Brüssel davon aus, dass die Prüfung erst im Februar abgeschlossen werden kann.

Die an dem Rettungsprogramm beteiligten Institutionen - die EU-Kommission, die Europäische Zentralbank, der Internationale Währungsfonds (IWF) und der Euro-Stabilitätsmechanismus ESM, der die Hilfskredite bereitstellt - haben bisher eine erstaunliche Langmut an den Tag gelegt. Die Milliarden für die Rekapitalisierung der griechischen Banken wurden bewilligt, obwohl die Athener Regierung längst nicht alle vereinbarten Bedingungen erfüllt hatte.

Aber jetzt wird es eng. Es hakt bei einigen wichtigen Reformen. Die Gründe für die Verzögerungen liegen teils in mangelnder Kompetenz der beteiligten Minister und ihrer Stäbe, teils in politischen Widerständen. Dabei hatte Tsipras schon bei der Einigung auf das Rettungspaket im Sommer erklärt, die Geldgeber hätten ihm ein Programm aufgezwungen, an das er nicht glaube. So kommt die versprochene Reform der griechischen Treuhandbehörde nicht voran, weil das Thema Privatisierung dem Linksbündnis Syriza ideologisch völlig gegen den Strich geht. Unter immer neuen Vorwänden verschleppt die Regierung auch die Privatisierung der Hafengesellschaft von Piräus. Das sieht sehr nach gezielter Obstruktion aus.

Offenbar setzt Tsipras darauf, dass die Geldgeber weiterhin fünfe gerade sein lassen. Der desolate Zustand der Opposition bestärkt ihn außerdem in der Ansicht, dass es keine Alternative zu seiner Regierung gibt. Aber das ist ein Spiel mit dem Feuer. Denn wenn im Februar die Prüfung nicht abgeschlossen ist und die nächste Rate der Hilfskredite nicht ausgezahlt werden kann, könnte Griechenland schon im März wieder in akute Zahlungsschwierigkeiten geraten.

Die Zeit drängt auch aus einem anderen Grund: Erst wenn die Inspekteure grünes Licht geben, können die Verhandlungen über Schuldenerleichterungen beginnen. Und die wiederum sind Voraussetzung für eine weitere Teilnahme des IWF an der Griechenland-Rettung. Die Zahlungen des IWF aus dem vorangegangenen Programm laufen im März aus. Verabschiedet sich der Fonds danach aus Griechenland, wäre es in Ländern wie Deutschland und Finnland sehr schwierig, eine weitere Fortsetzung des Hilfsprogramms politisch zu rechtfertigen - zumal vor dem Hintergrund der ständigen Verzögerungen in Athen. Die Chance, seine Regierung nach den Neuwahlen vom September auf eine breitere parlamentarische Basis zu stellen und so die Reformen zu beschleunigen, hat Tsipras sicher nicht genutzt. Auch deshalb könnte die Griechenland-Krise in den nächsten Wochen neu aufbrechen.

(RP)
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