Analyse Tsipras bleibt Merkel noch länger erhalten

Berlin/Athen · Die ungewöhnliche Links-Rechts-Koalition sitzt in Athen fest im Sattel. Das werde auch weiterhin so bleiben, sagen Experten. Denn es fehlten Alternativen. Auch mit Neuwahlen täte sich die Syriza-Regierung keinen Gefallen.

Eine Koalition aus Links- und Rechtspopulisten - kann die überhaupt dem riesigen Druck aus sich widersprechenden Erwartungen aus dem In- und dem Ausland standhalten? Werden Angela Merkels Ansprechpartner in Athen in wenigen Wochen noch dieselben sein? Diese Fragen beschäftigen die Politiker am Rande der Bemühungen um den Grexit, den Austritt Griechenlands aus dem Euro, immer wieder. Kenner der griechischen Innenpolitik kommen zu dem Ergebnis: Europa sollte sich darauf einstellen, es noch länger mit dem Linksbündnis Syriza und Regierungschef Alexis Tsipras zu tun zu haben.

"Diese Regierung ist bisher erstaunlich sattelfest", stellt Susanna Vogt, Büroleiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung in Athen fest. Einerseits sprächen sich über 77 Prozent der Griechen für einen Verbleib im Euro aus, andererseits unterstützten sie in Umfragen ungebrochen stark die Regierung, die sie an den Abgrund des Grexit so nah heranführe wie nie zuvor. "Die Regierung gibt der Bevölkerung das Gefühl, für die Sache der Griechen hart zu kämpfen", analysiert Vogt. Zudem habe es Syriza seit Januar geschafft, die Bevölkerung vor weiteren Einschnitten und Belastungen zu verschonen.

Was zudem fehlt, seien die Alternativen: "Die beiden ehemals großen Parteien ND und Pasok haben ihre Glaubwürdigkeit verloren, weil sie das Land in die Krise geritten und dann ein extrem schlechtes Krisenmanagement betrieben haben", schildert Christou Katsioulis, Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Athen. Die neue Partei To Potami erscheine aktuell als zu leichtgewichtig und in der Finanzierung auch zu undurchsichtig, als dass sie als Alternative zu Syriza infrage käme.

"Ich halte es für wenig wahrscheinlich, dass wir es in näherer oder fernerer Zukunft mit einem Anderen als Tsipras zu tun bekommen", erläutert Katsioulis. Wenn dieser am heutigen Montag aus dem Gipfel mit einem Ergebnis herauskomme, das ihm etwas Luft verschaffe, und eine Aussage zu den griechischen Schulden enthalte, dann sei vorstellbar, dass er die Koalition aus eigenem Willen beendet. "Er hätte dann gute Chancen, aus einer Position der Stärke heraus die Neuwahlen mit einer absoluten Mehrheit zu gewinnen", erklärt Katsioulis. Das griechische Wahlsystem erleichtert solche Mehrheiten, weil es der jeweils stärksten Partei 50 Parlamentssitze zusätzlich zuschreibt.

Vogt sieht diesen Punkt anders. "Mit Neuwahlen täte sich Syriza keinen Gefallen", lautet ihr Befund. Es sei nämlich nicht sicher, ob sich die hohen Umfragewerte immer noch in Wählerstimmen niederschlügen. Die Wähler, die Syriza von vier auf über 36 Prozent katapultiert hätten, seien keine Linkspopulisten. "Sie haben sich erhofft, lähmende Strukturen zu zerschlagen", betont Vogt. Das sei aber bisher ausgeblieben und könne am Wahltag in Enttäuschung umschlagen.

Als "Grundübel" des griechischen politischen Systems identifiziert Katsioulis das Klientelwesen. Es komme zum Ausdruck in der bisherigen Gewohnheit, an spätere Gesetze einen Passus anzuhängen, der ein vorangegangenes Gesetz verwässere, aber der eigenen Klientel nutze. So hätten die für die politischen Parteien wichtigen Apotheker lange Zeit das Privileg besessen, als einzige Babymilch verkaufen zu dürfen.

Gleichwohl ist Katsioulis überzeugt, dass die Griechen die Mängel in der Administration in den Griff bekommen werden. 25 Prozent des Katasterwesens seien bereits fertig, weitere 25 Prozent kämen in diesem und im nächsten Jahr hinzu. "Das kommt voran", auch wenn es sich um langwierige Prozesse und die Auseinandersetzung mit alten Dokumenten handele. "Es gibt schon heute eines der modernsten und transparentesten Systeme im Internet, um die politischen Entscheidungen detailliert verfolgen zu können", schildert Katsioulis. Das unterstreiche seinen Befund, dass die griechische Verwaltung sicherlich in der Lage sei, eindeutige politische Zielsetzungen auch umsetzen zu können. Die fehlten jedoch immer wieder. Seine Einschätzung: "Das Problem ist nicht so sehr administrativ, sondern zutiefst politisch."

So vermissten viele Griechen einen wichtigen symbolischen Beitrag der Syriza-Regierung. Da das Privatvermögen der Reeder verfassungsrechtlich geschützt sei, hätte die neue Regierung als einer ihrer ersten Handlungen eine Kommission einsetzen müssen, um die Frage zu klären, wie sich dieser Schutz aufheben lässt. Wie Vogt erläutert, braucht es zwei Legislaturperioden, um die griechische Verfassung auch an diesem Punkt ändern zu können. Aus ihrer Sicht steht die Krisenbewältigung an manchen Stellen auch vor dem Problem, dass diejenigen, die Reformen umsetzen sollten, selbst Reformen unterworfen seien und erst noch handlungsfähig werden müssten.

Vogt rechnet nicht mit einem baldigen Auseinanderbrechen der Koalition. Das Zusammengehen der Linken und der Rechten sei für die Bevölkerung keine Überraschung gewesen. Die rechtspopulistische Anel habe im Wahlkampf damit geworben, angesichts der absehbaren Regierungsübernahme durch Syriza eine Koalition mit ihr bilden zu wollen, "um den Linken den rechten Weg zu weisen". Vogt: "Das hat funktioniert."

Diese Koalition sei anders, als man es in Deutschland gewohnt sei. Ihr gehe es nicht um das Ausarbeiten von Kompromissen auf allen Politikfeldern. Sie beruhe nur auf der gemeinsamen Gegnerschaft gegenüber dem Euro-Memorandum. "Anel droht nicht mit Koalitionsbruch, wenn es um Staatsbürgerschaft, Asyl oder Homo-Ehe geht, obwohl das eigentlich den Überzeugungen dieser Partei absolut widerspricht", erklärt Vogt. Da rumore es dann zwar, aber man lasse einander gewähren.

Wie lange dieser Zustand andauern werde, lasse sich indes schwer prognostizieren. "Das Parteiensystem ist so volatil wie nie zuvor", sagt Vogt. Ihre Voraussage: "Wer es schafft, nicht nur seine Anti-Position zu artikulieren, sondern eine Vision, ein Programm für das Land zu entwickeln, der kann sehr schnell zum Zuge kommen."

(may-)
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