Tote vor deutschem Stützpunkt

In der afghanischen Stadt Talokan hat eine aufgebrachte Menge eine Polizeistation und ein Lager der Bundeswehr angegriffen. Bei dem Zusammenstoß kamen bis zu elf Menschen ums Leben. Auslöser war ein Isaf-Einsatz in der Nacht zuvor, bei dem vier Afghanen getötet wurden.

Talokan (RP) Die Menschenmenge ist aufgebracht. Hunderte Afghanen sind vor den kleinen Bundeswehr-Stützpunkt in der Stadt Talokan gezogen, in dem nach Angaben des Bundesverteidigungsministeriums 44 deutsche Soldaten stationiert sind. Auf Holzbahren tragen die Demonstranten die mit Tüchern zugedeckten Körper zweier Männer und zweier Frauen. Sie waren in der Nacht zu gestern bei einem Nato-Einsatz von US-Soldaten getötet worden.

Die Allianz hatte erklärt, es habe sich um Aufständische gehandelt, wahrscheinlich um Mitglieder der Islamischen Bewegung Usbekistans. Auch die Frauen seien bewaffnet gewesen und hätten versucht, auf die Einsatzkräfte zu schießen. Das sieht die Menge allerdings anders. Die These, dass es sich ausschließlich um Zivilisten gehandelt hat, wird auch durch Äußerungen des örtlichen Polizeichefs Schah Dschahan Nuri befeuert. Ihm zufolge haben "falsche Geheimdienstinformationen zum Tod unschuldiger Afghanen geführt".

Und so dauert es nicht lange, bis die Stimmung umschlägt: Aus Trauer wird Wut. "Tod Karsai! Tod den USA!" hallt es über den staubigen Platz. Unter die Demonstranten sollen sich etwa 100 äußerst aggressive Männer gemischt haben – womöglich Aufständische.

Nach Darstellung von Augenzeugen feuern afghanische Sicherheitskräfte zunächst in die Luft, um die Demonstranten auseinanderzutreiben. Daraufhin setzen sich einige ab und beginnen, Läden zu plündern und Plakate von Präsident Hamid Karsai zu zerstören. Plötzlich fliegen die ersten Steine in Richtung einer Polizeistation und des Lagers, in dem das Regionale Beratungsteam ("Provincial Advisory Team", PAT) der Bundeswehr untergebracht ist. Auch Molotow-Cocktails und Granaten sollen geschleudert worden sein. Zwei deutsche Soldaten und vier afghanische Wachleute werden dabei verletzt, teilt das Einsatzführungskommando in Potsdam mit. Ihren Zustand beschreibt die Bundeswehr allerdings als stabil.

Als Antwort auf die eskalierende Gewalt beschränken sich die Angegriffenen nicht mehr nur auf Warnschüsse, sondern feuern zurück. Widersprüchliche Angaben gibt es dazu, wer geschossen hat – ausschließlich afghanische Wachleute oder auch deutsche Soldaten. Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) will am Nachmittag nicht bestätigen, dass auch seine Männer geschossen haben, kündigt lediglich eine Untersuchung an. Unklar ist auch, wie viele Menschen bei dem Zusammenstoß ums Leben kommen. Vermutlich seien vier Menschen getötet und zehn verletzt worden, heißt es vom Einsatzführungskommando. Afghanische Behörden sprechen dagegen von mindestens elf Toten und 50 Verletzten, darunter mehrere Polizisten. Am Nachmittag beruhigt sich die Lage zunächst. Panzerfahrzeuge der Bundeswehr beziehen am Stadtrand Stellung. Zudem verlegt die afghanische Armee weitere Soldaten in die Stadt.

Das PAT der Bundeswehr in der 200 000 Einwohner zählenden Provinzhauptstadt Talokan ist eine Außenstelle des Regionalen Wiederaufbauteams Kundus in der Provinz Tachar. Seit dem 1. Juni 2006 hat Deutschland im Rahmen der Afghanistan-Schutztruppe Isaf die Führung des Regionalkommandos im Norden des Landes mit seinen neun Provinzen.

(RP)
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