Thyssen trennt sich von 35 000 Beschäftigten

Düsseldorf Gut 100 Tage nach seinem Amtsantritt hat der neue ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger zum Befreiungsschlag ausgeholt: Der hochverschuldete Dax-Riese will sich von etwa einem Viertel seines Geschäftsvolumens trennen. Jedem fünften der weltweit 177 000 ThyssenKrupp-Mitarbeiter steht voraussichtlich der Wechsel zu einem anderen Arbeitgeber bevor. Weltweit sind rund 35 000, in Deutschland 14 000 betroffen. Mit den Verkäufen will Hiesinger sich Spielraum für Wachstum vor allem in Schwellenländern verschaffen, wie der Konzern mitteilte. Für Experten ist ein Verkaufserlös zwischen fünf und acht Milliarden Euro wahrscheinlich. Die Nettofinanzschulden von ThyssenKrupp betragen 5,8 Milliarden Euro.

Größte Einheit auf der Verkaufsliste ist die Edelstahl-Sparte des Konzerns, die unter anderem an den Standorten Düsseldorf, Krefeld, Unna und Bochum mit 11 000 Mitarbeitern 5,9 Milliarden Euro umsetzt. Stainless Global hat in den vergangenen beiden Jahren Verluste von mehr als einer Milliarde Euro angehäuft. Hiesingers Vorgänger Ekkehard Schulz wollte sie schon 2008 verkaufen, blies den Plan mangels Interessenten 2009 aber wieder ab. Nach Informationen unserer Zeitung sieht der Konzern als Alternative zum Verkauf einen Stainless-Börsengang vor.

Massiv von dem Umbau betroffen sind außerdem große Teile des Autozuliefergeschäfts. Unter anderem soll die auch in Düsseldorf produzierende Tochter Presta (Komponenten und Lenksäulen) mit Teilen der Bilstein-Gruppe (Stoßdämpfer) von ThyssenKrupp zu einem der weltweit größten Chassis-Anbieter für die Automobilindustrie verschmolzen und mittelfristig eventuell verkauft werden. Trennen will sich ThyssenKrupp von der in Duisburg und Gelsenkirchen produzierenden Sparte Tailored Blanks, die mit Karosserieblechen jährlich rund 600 Millionen Euro umsetzt.

Analysten sprachen gestern in ersten Reaktionen von einer "Revolution" bei dem Traditionskonzern. Die Aktie schoss um acht Prozent in die Höhe. Der Aufsichtsrat muss den Plänen am kommenden Freitag zustimmen.

Auffallend ruhig reagierten hingegen Betriebsräte und Gewerkschaften auf die geplanten Verkäufe. Der NRW-Chef der IG Metall, Oliver Burkhard, sieht Hiesingers Konzept "relativ gelassen". Es sei für die betroffenen Mitarbeiter angesichts der Schulden auch eine Chance. "ThyssenKrupp selbst ist derzeit nicht zu allen notwendigen Investitionen in der Lage", sagte Burkhard. Deshalb, so der IG-Metall-Chef, könne "ein Eigentümerwechsel auch eine Verbesserung für die Mitarbeiter bedeuten".

(RP)
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