Teure grüne Welt

Bei ihrem Parteitag in Freiburg sonnen sich die Grünen im Glanz ihrer Rekord-Umfragewerte. Doch bei der Umsetzung ihrer politischen Versprechen sind noch viele Fragen offen.

Freiburg Grünen-Parteitage sind immer für eine Überraschung gut. Gleich zum Auftakt wurde es gestern Abend in Freiburg turbulent. Ein Rudel Delegierter stand auf und skandierte: "Oben bleiben!" Die Unterbrechung des Parteitags war aber nicht wie früher oft als Attacke gegen die Parteiführung gedacht, sondern zu deren Unterstützung. Mit "Oben bleiben" waren die guten Umfragewerte gemeint. Parteichef Cem Özdemir versuchte in seiner Auftaktrede, die Partei auch inhaltlich auf Volkspartei-Kurs zu bringen: "Grün ist nicht nur Soja und Solar."

Mit Freiburg haben sich die Grünen einen symbolträchtigen Ort ausgesucht. Seit acht Jahren wird die Stadt von einem Grünen regiert, in manchen Vierteln hat die Partei die absolute Mehrheit. Hier leben die Mülltrenn-Pioniere und Auto-frei-Praktizierer. Hier sind die Grünen Volkspartei. Freiburg liegt zudem in Baden-Württemberg, wo die Grünen nach den Landtagswahlen im März erstmals mit Winfried Kretschmann einen Ministerpräsidenten stellen wollen. Der Protest gegen das Bahn-Großprojekt Stuttgart 21 hat die Grünen im Ländle zusätzlich stark gemacht. Viele Bürger, die bislang bei der CDU ihr Kreuz gemacht haben, sind den Protestmärschen gefolgt. Die Grünen bekommen auch so viel Zustimmung, weil sie den Zeitgeist bedienen und eine schöne, neue, grüne Welt mit vollwertigem Mittagessen in Ganztagsschulen für alle und Strom ohne Dreck versprechen.

Die Grünen gewinnen zurzeit aus allen Lagern Zustimmung. Bundesweit ermitteln die Demoskopen zurzeit satte 20 Prozent für die Öko-Partei. Die Grünen schwanken zwischen Euphorie und Furcht – Furcht deshalb, weil sie wissen, dass dem Rausch der Katzenjammer folgen kann und dass eine Partei, die auf Augenhöhe mit SPD und Union gerückt ist, unter besonderer Beobachtung steht. Sie muss solide finanzierte, realpolitische Konzepte vorlegen können. Dass es daran noch hapert, räumt mancher Grüne selbst ein.

Die Partei möge doch bitte auf dem Teppich bleiben, sagte die Fraktionschefin im Bundestag, Renate Künast, neulich in kleiner Runde. "Ja, Renate", antwortete ihr da der Baden-Württemberger Spitzenkandidat Winfried Kretschmann, "wir bleiben auf dem Teppich. Aber der Teppich fliegt."

Außer in Baden-Württemberg wollen die Grünen 2011 auch in Berlin den Regierungschef im Bundesland stellen. In Rheinland-Pfalz setzen sie auf die Juniorrolle in einer rot-grünen Regierung. Alle angestrebten Regierungsbeteiligungen sind schwierig: In Berlin müsste Renate Künast nach einem Wahlsieg eine bunt gemischte Wählerschaft von Ökopazifisten bis zu bürgerlichen, ökologisch angehauchten Westberlinern bedienen. In Baden-Württemberg stünde Winfried Kretschmann, sollte er Ministerpräsident werden, vor dem Problem, dass er mit Stuttgart 21 ein Projekt stoppen will, das er eigentlich nicht mehr stoppen kann. In Rheinland-Pfalz saßen die Grünen bislang nicht im Landtag. Fürs Regieren fehlen ihnen dort Strukturen und Leute. Nach dem Sprung in den Umfragewerten müssen die Grünen vor allem inhaltlich nachlegen. Die Partei hat sich einen Arbeitsparteitag verordnet. Motto: "Auftrag Grün". Sie muss nun nachweisen, wie sie ihre Versprechen für eine saubere Umwelt, üppigen Sozialstaat und beste Bildungschancen für alle finanzieren will. Insgesamt summieren sich ihre Ausgabenvorschläge auf rund 60 Milliarden Euro im Jahr.

Dagegen steht bislang nur die konkrete Idee, den Spitzensteuersatz von 42 auf dann 45 Prozent zu erhöhen. Das bringt etwa drei Milliarden Euro ein. Zudem liebäugeln die Grünen mit einem Bildungs-Soli, der unter anderem das kostenfreie Studium und den weiteren Ausbau von Ganztagsschulen finanzieren soll. Es gibt auch kein Konzept, wie man das Vorhaben, bereits 2020 die Hälfte des Stroms aus erneuerbaren Energien zu gewinnen, umsetzen kann, solange zahlreiche von den Grünen gestützte Bürgerinitiativen den Bau der dafür notwendigen Überland-Stromleitungen verhindern.

Bei diesem Parteitag werden die Grünen ein klares Signal für eine Umverteilung von oben nach unten setzen. Beispiel Gesundheit: Konsens ist, dass eine "grüne Bürgerversicherung" kommen soll, die aus allen Einkommensarten, also auch aus Mieten und Zinsen gespeist wird. Außerdem sollen die bislang Privatversicherten ebenfalls einzahlen. Beim Thema Rente mit 67 könnte es heikel werden. Der Kreisverband Göttingen fordert glatt die Abschaffung der Erhöhung der Regelaltersgrenze. Mehr noch: Die Menschen sollen bereits ab 60 Jahren abschlagfrei in Rente gehen können.

Die Öko-Partei ist in die Mitte der Gesellschaft gerückt. Und umgekehrt: Mit dem Einzug des ökologischen Bewusstseins in breite Schichten ist das Volk auch ein wenig an die Grünen herangerückt. Nun stehen die Grünen vor der Herausforderung, ihre teuren Forderungen mit ihrem Anspruch einer sozial gerechten Gesellschaft zusammenzubringen. Dass Nachhaltigkeit sich nicht nur auf das Thema Umwelt, sondern auch auf die Finanzpolitik erstrecken muss, ist zwar grundsätzlich eine Mehrheitsposition in der Partei. In der praktischen Politik gibt es dafür jedoch nur wenige Mahner.

Am Ende wollen die Grünen 2011 aber vor allem eines: wieder an die Macht.

(Rheinische Post)
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