Taifun wütet über Fukushima

Japan kommt nicht zur Ruhe: Während das Land noch mit den Folgen der Tsunami- und Atomkatastrophe vom März zu kämpfen hat, schlägt ein schwerer Taifun erneut eine Schneise der Verwüstung. Dabei bedrohte der Wirbelsturm auch die weiter instabile AKW-Ruine von Fukushima.

Tokio Fieberhaft hatten die Techniker in dem schwer beschädigten Atomkomplex von Fukushima die havarierten Reaktorgebäude auf die Ankunft von Taifun "Roke" vorbereitet. Kabel und Schläuche wurden gesichert, Planen hastig über die beschädigten Bauten gezogen. So sollte verhindert werden, dass radioaktive Partikel aufgewirbelt werden oder Regenwasser in die zerstörten Reaktoren eindringt. Alle anderen Arbeiten wurden unterbrochen. Gegen Mittag trafen dann die ersten schweren Regenfälle die Anlage. Böen mit Windgeschwindigkeiten von mehr als 160 Kilometern pro Stunde rüttelten an den provisorischen Kühlanlagen. Doch die Installationen hielten stand. Am Ende meldete der Betreiber Tepco lediglich eine durch den Sturm beschädigte Überwachungskamera.

Während die Menschen in dem Gebiet um Fukushima glimpflich davonkamen, hatte der Wirbelsturm durch andere Regionen Japans eine Schneise der Verwüstung gezogen. Der Fernsehsender NHK meldete, im ganzen Land seien 260 000 Haushalte ohne Strom. Die Hauptstadt Tokio wurde mitten im Berufsverkehr getroffen. Sturm und Starkregen führten dazu, dass der Zugverkehr zum Erliegen kam, Zehntausende Pendler saßen auf Bahnhöfen fest.

Das Chaos wäre wohl noch größer gewesen, wenn angesichts des nahenden Taifuns nicht zahlreiche Firmen in der Zehn-Millionen-Metropole ihre Angestellten schon am Nachmittag frühzeitig nach Hause geschickt hätten. Der Autobauer Toyota stellte die Produktion in seinem Werk in Aichi am Nachmittag vorsorglich ein. Auch Nissan und der Maschinenhersteller Mitsubishi schickten Beschäftigte vorzeitig nach Hause oder schlossen ihre Werke vorübergehend. Auch die Deutsche Schule in Yokohama und andere Schulen des Landes ließen ihre Schüler früher nach Hause. Mehr als 200 Inlandsflüge und einige wichtige Bahnverbindungen wurden gestrichen.

"Roke" war am Morgen in der Nähe der Stadt Hamamatsu, rund 200 Kilometer westlich von Tokio, auf Land getroffen. Mindestens 13 Menschen kamen in dem Wirbelsturm ums Leben oder werden vermisst, wie Medien und Behörden erklärten. Dutzende wurden verletzt. Einige der Toten waren offenbar von angeschwollenen Flussläufen fortgerissen worden und ertranken. In der Industriestadt Nagoya stürzte ein 66-Jähriger zu Tode, als er eine Dachrinne von Trümmern befreien wollte. In der Provinz Saga wurde ein 71-Jähriger ins Meer gespült, als er versuchte, sein Fischerboot zu vertäuen.

Mehr als eine Million Menschen wurden nach Berichten japanischer Medien von den Behörden aufgefordert oder sogar offiziell angewiesen, ihre Häuser zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen. Es wurde befürchtet, dass ihre Häuser überschwemmt oder von Erdrutschen begraben werden könnten. In Nagoya, rund 270 Kilometer westlich von Tokio, zeigten Fernsehbilder, wie Menschen durch knietiefes Wasser wateten. Einige Bewohner mussten mit Schlauchbooten aus ihren Häusern geholt werden.

Bereits vor einigen Tagen war der Westen Japans vom Tropensturm "Talas" heimgesucht worden. Mindestens 100 Menschen starben oder werden seitdem vermisst. Die Serie von Naturkatastrophen behindert den Wiederaufbau des durch den verheerenden Tsunami schwer getroffenen Landes. Bis in den von der Flutwelle verwüsteten Gebieten wieder Normalität einkehrt, können Jahrzehnte vergehen. Die komplette Infrastruktur muss neu errichtet werden. Straßen sind immer noch unterbrochen, es mangelt an Benzin, die Stromversorgung ist unregelmäßig, der Schulbetrieb läuft provisorisch. Rund 80 000 Menschen leben weiter in Notunterkünften. Die japanische Regierung beziffert die Kosten für den Wiederaufbau auf umgerechnet rund 350 Milliarden Euro – eine enorme Summe, zumal Japan seit der Tsunami-Katastrophe in einer Rezession steckt.

(RP)
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