Analyse Tabubrüche mit schwerem Gerät

Aktionen wie das Holocaust-Mahnmal vor dem Haus von AfD-Politiker Björn Höcke spielen mit politischen wie juristischen Grenzübertretungen. Doch oft ist die Empörung über die Proteste größer als jene über die Missstände.

 Das "Denkmal der Schande", ein verkleinerter Nachbau des Berliner Holocaust-Mahnmals, in Sichtweite des Grundstücks von AfD-Politiker Björn Höcke.

Das "Denkmal der Schande", ein verkleinerter Nachbau des Berliner Holocaust-Mahnmals, in Sichtweite des Grundstücks von AfD-Politiker Björn Höcke.

Foto: dpa, spf gfh

Im Spätsommer 2016, der Zenit der Flüchtlingskrise ist bereits überschritten, das EU-Abkommen mit der Türkei gerade beschlossen, begann die Aktion "Flüchtlinge fressen". Das Künstlerkollektiv "Zentrum für politische Schönheit" (ZPS) charterte einen Flug für 100 Menschen aus Syrien, besorgte vier libysche Tiger und drohte damit, die Flüchtlinge den Tieren zum Fraß vorzuwerfen, vor Publikum, mitten in Berlin - es sei denn, die Politik ändere das Aufenthaltsgesetz, das verbietet, Flugzeuge zur Flucht zu nutzen.

Es kam nicht dazu. Für Schaukämpfe nach diesem Muster wird das Künstlerkollektiv von vielen Menschen bejubelt und von noch viel mehr Menschen hart kritisiert und beschimpft. Beides ist gewollt, je lauter, desto besser.

Auch der Zeitpunkt der jüngsten Aktion war gut gewählt. Um den Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke war es seit seiner Skandalrede zum Holocaust-Mahnmal ("Denkmal der Schande") Anfang des Jahres ruhig geworden. Dem Parteitag in Köln im April blieb er fern, im Wahlkampf trat er kaum auf. Aber nur weil etwas aus dem Blickwinkel rückt, ist es nicht verschwunden. Höcke hat viele Unterstützer. Sein Parteiausschlussverfahren dümpelt seit März vor sich hin - und wird mit dem Ausscheiden von dessen größter Befürworterin Frauke Petry wohl scheitern. Vielleicht folgt Höcke den Rufen seiner Fans und lässt sich kommende Woche in den AfD-Vorstand wählen.

In diesen Moment der Ruhe um die AfD-Rechten - mitbedingt durch die raumgreifende Regierungskrise - platzt das ZPS mit einem eigenen Holocaust-Mahnmal für Höcke. 24 Betonstelen haben die Aktivisten auf seinem Nachbargrundstück im beschaulichen Bornhagen errichtet, dem Holocaust-Denkmal in Berlin nachempfunden, nur um 180 Grad gedreht. Weil Höcke in seiner umstrittenen Rede im Februar "eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" gefordert hatte, weil die deutsche Geschichte bislang "mies und lächerlich gemacht" werde.

Allerdings hat das ZPS das Grundstück nicht nur angemietet, sondern auch mit Kameras ausgestattet und Höcke damit nach eigenen Angaben überwacht, weil es der Thüringer Verfassungsschutz nicht tue. Damit wollen sie nun eine Entschuldigung erzwingen, in Form eines Kniefalls à la Willy Brandt.

Bleibe dieser aus, werde das ZPS pikante Aufnahmen aus Höckes Privatleben veröffentlichen, so die Drohung.

Damit übertreten die Aktivisten nicht nur moralisch-politische, sondern auch juristische Grenzen. Paragraf 201a des Strafgesetzbuchs sieht für die "Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen" eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren vor. Allerdings gilt das nur für Aufnahmen einer Person, "die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet". Filmchen über das Treiben in Höckes Vorgarten wären strafrechtlich wohl nicht relevant.

Die Aufregung innerhalb der AfD ist groß, Höcke selbst schweigt, sein parlamentarischer Geschäftsführer spricht von einer "psychologischen Kriegsführung gegen eine ganze Familie". Auch der Thüringer Landtagspräsident verurteilte die Aktion als "Angriff auf die Freiheit des Mandats und Unversehrtheit der Familie" mit "Stasi-Methoden".

Was aber, wenn die Aktivisten nur unsere Fantasie provozieren und in Wirklichkeit gar keine Aufnahmen produziert haben? Würde sich ein skandalerprobtes Kollektiv monatelang vorbereiten, Geld, Mühe und Zeit in Mietverträge und Material stecken, ohne sich juristisch abzusichern? Und würden die Künstler Höckes unbeteiligte Kinder mit in die Sache hineinziehen?

Der Kopf des ZPS ist Philipp Ruch, der gern Sachen sagt wie: "Politische Kunst ist nicht politisch korrekt." Einfache Provokationen tun es für ihn nicht, Grenzüberschreitungen mit Anlauf müssen es sein, Tabubrüche mit schwerem Gerät. Erlaubt ist, was Wirkung zeigt, Aufmerksamkeit bringt, Schlagzeilen.

Diese Marktschreier-Methode kann man natürlich kritisieren. Zugleich sollte man sich aber auch bewusst machen: Die Empörung über die künstlerischen Mittel des Protests ist oft größer als jene über die Missstände, die damit beklagt werden. Das ist nicht nur bei vielen Aktionen des ZPS so: Nach den Aktionen der Feministinnen von Pussy Riot wurde mehr über ihre blanken Brüste in der Kirche debattiert als über die Bürgerrechtsverletzungen, die sie anprangern. Den russischen Regimekritiker Pjotr Pawlenski, der sich die Lippen zunähte und sich in Stacheldraht gerollt über den Roten Platz wälzte, versuchte man zeitweise in eine Psychiatrie einzuweisen.

Natürlich gibt es Grenzen. Kunst darf nicht alles. Straftaten sind Straftaten, Gewalt muss absolut tabu bleiben - das schließt auch das Werfen von Farbbeuteln oder Torten auf Politikergesichter ein. Im übertragenen Sinne allerdings muss politische Kunst sehr wohl wehtun. Sie muss Wunden aufreißen, die gerade dabei waren zu heilen.

Denn wer trauert schon täglich um die Opfer des Holocaust, oder auch um die Menschen, die im 21. Jahrhundert Tag für Tag im Mittelmeer ertrinken, oder um jene, die mithilfe deutscher Waffen erschossen, zerfetzt, verbrannt werden? Niemand tut das, weil es niemand will oder kann. Der Mensch gewöhnt sich an alles. Alles nimmt man irgendwann hin, wenn nicht aktiv schulterzuckend, dann wie gelähmt oder schlicht überfordert.

Ruchs Leute kämpfen gegen die Reizüberflutung an. Nett und leise geht das nicht. Es braucht also solche Spitzen, Momente der Empörung, die die Aktivisten produzieren und sich dabei immer wieder selbst übertrumpfen. Im Video zur Höcke-Aktion heißt es: "Werden Sie Teil unseres Teams. Beobachten Sie den bekanntesten Brandstifter Deutschlands." Die Aktionen sind an uns alle gerichtet. "Schaut genau hin", mahnt das ZPS. Auf seine Proteste. Aber vor allem auf deren Anlässe.

(tojo)
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