Syrien: Mit Steinen gegen Panzer

Die Regierung in Damaskus verschärft ihren Kurs gegen die Demonstranten. Laut Augenzeugen sollen Heckenschützen die Bewohner in der Widerstands-Hochburg Deraa terrorisieren. 100 Schriftsteller protestieren mit Erklärung gegen das Vorgehen der Regierung Assad.

Damaskus/Düsseldorf Syriens Staatschef Baschar al Assad (45) entwickelt sich immer mehr zum Feind des eigenen Volkes. Er schickte am Osterwochenende seine bis an die Zähne bewaffneten Sicherheitskräfte gegen diejenigen los, die lautstark für mehr Freiheitsrechte eintreten und Reformen Richtung Demokratisierung verlangen. Die Folge: Tote und Verletzte. Die Erbitterung wächst. Der Machtkampf in Syrien scheint seit den Ostertagen voll entbrannt zu sein.

Vor gut fünf Wochen hatte Syriens Protestbewegung Morgenluft gewittert. Sie hatte sich ein Beispiel an den Tunesiern und den Ägyptern genommen, die die Fesseln der alten autokratischen Regime abgestreift hatten. Das war nicht ohne persönliche Risiken und Blutvergießen gegangen. Doch am Ende waren die alten Führer abgelöst, mehr aber noch nicht. Ob am Ende die alten Seilschaften mit ihren undemokratischen Strukturen auf der Müllhalde der Geschichte werden enden, ist noch nicht abschließend geklärt. Die Protestler in Tunesien und Ägypten haben erst Teilerfolge eingefahren. Das hält sie wachsam und macht sie unruhig.

Syriens starker Mann Baschar al Assad sah die revolutionäre Entwicklung der Nachbarschaft auf sein Land zurollen, wie es auch im Jemen und in Libyen geschehen ist. Assad glaubte aber anfangs die Konfrontation mit den aufmüpfigen Bürgern vermeiden zu können. Er kündigte Reformen an, um den Protestlern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch ein grundlegend neues System mit Freiheitsrechten und Entwicklungsmöglichkeiten für den Einzelnen hatte der Staatschef eher nicht vor Augen. Auch der Ausnahmezustand, der nun nach 48 Jahren aufgehoben wurde, ist Kosmetik: Die Willkür der Sicherheitskräfte und Spezialeinheiten des Regimes sind geblieben. Sie berufen sich auf andere Gesetze, die der Staatssicherheit weitreichende Vollmachten einräumen.

Die Opposition verlangte das Ende des Machtmonopols der Baath-Partei, außerdem sollten die politischen Gefangenen freigelassen werden. Von beidem will Assad nichts wissen. Die Menschen fühlen sich getäuscht.

Mehr als 3000 Soldaten rückten gestern mit Panzern gegen ihre Widerstandszentren vor. In Daraa (300 000 Einwohner) bezogen Scharfschützen Position. Nach Berichten von Widerstandsgruppen schossen sie auf Zivilisten. Es habe Tote gegeben, Häuser seien systematisch durchsucht und Dutzende Bürger seien festgenommen worden. "Wir brauchen eine internationale Intervention" wird ein von der Agentur ap telefonisch erreichter Bewohner zitiert. "Wir brauchen Länder, die uns helfen." Was stimmt und was von den Beteiligten als Propaganda verbreitet wird, ist schwer auszumachen. Syrien lässt keine unabhängigen Beobachter mehr ins Land.

Seit den Zusammenstößen zwischen Regierungstruppen und Aufständischen in mehreren Städten Syriens sollen bereits mehr als 350 Menschen getötet worden sein. Allein am Karfreitag wurden nach Angaben der Opposition 112 Menschen von Heckenschützen erschossen. Auch bei den Trauerzügen am Tage danach gab es wieder Tote, als Sicherheitskräfte in die Menge der Trauernden schossen. Landesweit forderten Zehntausende einen Systemwechsel und den Rücktritt des Staatspräsidenten, der als Nachfolger seines Vaters vor elf Jahren die Macht übernommen hatte.

Assad hatte in Damaskus Medizin studiert, in London ließ er sich zu Augenarzt weiterbilden, denn ihn drängte es nicht in die Politik. 1994 war aber sein älterer Bruder Basil, der als Nachfolger des Vaters als Staatspräsident auserkoren war, bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Nun musste Baschar seine Lebensplanung ändern. Als er im Jahr 2000 an die Staatsspitze rückte, wurde das mit großen Erwartungen verbunden. Baschar al Assad galt als geschmeidig und reformwillig. Er öffnete das Land behutsam, das sein Vater brutal mit eiserner Hand regiert hatte. Nun sollte ein modernes Finanzsystem entwickelt werden, Syrien warb um ausländische Investoren. Der junge Präsident bildete 2003 und 2004 sein Kabinett um, weil ihm die Reformen nicht schnell genug gingen. Bei einem Referendum 2007 wurde ihm eine weitere siebenjährige Amtszeit zugebilligt. Und die ist nun von einem vorzeitigen Ende bedroht.

Auch in der Hauptstadt Damaskus gab es Unruhen. Demonstranten riefen, so wird berichtet: "Das Volk will den Sturz des Regimes." Bei den Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften wurden drei Menschen erschossen. Über die Lautsprechersysteme einiger Moscheen seien Ärzte zur Hilfe gerufen worden, hieß es. In Duma, einem Vorort von Damaskus, war es gestern zu Schießereien gekommen. Die Kommunikationsmöglichkeiten dorthin wurden unterbrochen. Nach Angaben eines Einwohners seien über Nacht Kontrollposten errichtet worden, um die Viertel zu isolieren.

In Dschabla hatten nach Berichten von Menschenrechtsgruppen Scharfschützen 13 Zivilisten getötet. Augenzeugen sagten der Agentur ap: "Dschabla ist von Sicherheitskräften umstellt. Die Toten sind in den Moscheen und Häusern. Wir können sie nicht hinausbringen."

Die Zuspitzung der Lage scheint dramatisch. Die Brutalität des Regimes gegenüber der eigenen Bevölkerung nicht minder. Baschar al Assad scheint in dieser Hinsicht seinem Vater nachzueifern. Der hatte 1982 die Menschen in der Stadt Hama wochenlang bombardieren lassen. Wie viele damals getötet wurden, ist nie offiziell geklärt worden. Die Zahl schwankt zwischen 25 000 und 38 000 Toten. Hintergrund waren die Aktivitäten der sunnitischen Muslimbruderschaft, die in Syrien verboten ist. Die regierende sozialistische Baath-Partei pochte auf den Laizismus. Sie wertete den Versuch der islamistischen Muslimbrüder, Staat und Religion als Einheit zu sehen, als Anschlagsversuch auf die staatliche Einheit. Sie sah sich bestätigt durch die Terroranschläge der Islamisten. Nach Unruhen 1982 in Hama riegelte die Armee mehrere Stadtteile ab. Mit schweren Waffen gingen die Soldaten gegen die Muslimbrüder vor, die ihrerseits zum Volksaufstand aufgerufen hatten. Mehr als zwei Wochen dauerten die Kämpfe, dann hatte das Regime von Assad senior gesiegt.

Will das heute der Sohn kopieren? "Freitag war der Wendepunkt", sagte der Leiter der Nationalen Organisation für Menschenrechte in Syrien, Ammar Kurabi, der Nachrichtenagentur Reuters. Die Regierung habe den Reform-Test nicht bestanden. Die Syrer verlören die Geduld. "Alles, was das Volk jetzt noch will, ist der Sturz des Regimes."

Gestern veröffentlichten rund 100 syrische Schriftsteller und Journalisten eine gemeinsame Erklärung, in der das Vorgehen der Regierung Assad scharf angeprangert wird. "Wir verurteilen die unterdrückerischen Akte der Gewalt des syrischen Regimes gegen die Protestierenden und betrauern die Märtyrer des Aufstandes", heißt es darin. Unterzeichnet haben auch Intellektuelle der allawitischen Minderheit, die in Syrien der bestimmende Machtfaktor ist. Baschar al Assad gehört ebenfalls der Religionsgemeinschaft der Alawiten an.

(RP)
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