Diskussion um Syrien-Flüchtlinge De Maizière auf Distanz zu Merkel

Berlin · Der Innenminister hat mit einem unabgesprochenen Kurswechsel beim Familiennachzug für Syrer die Koalition mit der SPD auf eine neue Belastungsprobe gestellt. Auch mit Kanzlerin Angela Merkel ist er in der Sache nicht einig.

 Kanzlerin Angela Merkel und ihr Innenminister sind sich in der Frage des Schutzstatus für syrische Flüchtlinge nicht einig.

Kanzlerin Angela Merkel und ihr Innenminister sind sich in der Frage des Schutzstatus für syrische Flüchtlinge nicht einig.

Foto: afp, OA/bb

Bereits zu Anfang letzter Woche hatte der CDU-Innenminister unbemerkt von Politik und Öffentlichkeit das ihm unterstellte Bundesamt für Flüchtlinge zur Änderung der Entscheidungspraxis aufgefordert: Syrer sollten nur noch vollständigen Flüchtlingsstatus erhalten, wenn sie ein individuelles Verfolgungsschicksal nachweisen können. Alle anderen sollten lediglich subsidiären Schutz bekommen - sie dürfen dann nur noch ein Jahr bleiben und ihre Familien nicht nachholen.

Das Prekäre aus Sicht der SPD lag darin, dass sie in ihren Verhandlungen mit der Union genau über diesen Passus noch am Donnerstag versichert bekommen hatte, die Schlechterstellung der Flüchtlinge beträfe allenfalls 1700 Personen. Freitag Abend verkündete de Maizière hingegen, dass "den Syrern" nur noch zeitlich begrenzter Schutz ohne Recht auf Familiennachzug gewährt werde. SPD-Chef Sigmar Gabriel informierte das Kanzleramt, und daraufhin korrigierte sich de Maizière noch am selben Abend: Es gebe noch "Beratungsbedarf in der Koalition", und deshalb bleibe es vorerst bei der laufenden Praxis.

Kanzleramtsminister Peter Altmaier bestätigte gestern, dass auch er von de Maizière nicht über die neue Verwaltungspraxis informiert worden war. Gleiches galt für ein Vorbereitungsgespräch im Vorfeld der Koalitionsentscheidung, an der auch SPD-Justizminister Heiko Maas teilnahm. Widersprüchliche Angaben gibt es über de Maizières Hinweise beim Treffen mit den Ministerpräsidenten am selben Abend. Angeblich soll er dort die Rückkehr zum "status quo ante" (vorhergehender Zustand) angekündigt haben, könnte von den Regierungschefs aber möglicherweise nicht verstanden worden sein.

Scharf kritisierte Schleswig-Holsteins Vize-Regierungschef Robert Habeck (Grüne) das Vorgehen des Ministers. "Es herrscht nicht nur Chaos in der Union, das ist ja ein Putsch", sagte Habeck unserer Redaktion. "Die Bundeskanzlerin muss klar machen, wer Koch und wer Kellner ist", forderte der Grünen-Spitzenpolitiker. De Maizière habe ein "krasses, böses Foul" und einen seltenen Fall von "Wortbruch" begangen.

Ursachen der großen Flucht
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Foto: ALESSANDRO BIANCHI

Am Wochenende legte de Maizière erneut nach. Er sprach von einem "Bremszeichen" und erklärte: "Die Zahl der Flüchtlinge ist so hoch, wir können nicht noch ein Vielfaches an Familienmitgliedern aufnehmen." Zudem erneuerte er seinen Vorstoß zu einer Umstellung der Überprüfungspraxis: "Ich halte es für richtig, auch bei Syrern wieder in jedem Einzelfall zu prüfen, welcher Schutzstatus angemessen ist, statt pauschal zu verfahren."

Unterstützung bekam de Maizière vom Vorsitzenden des Bundestags-Innenausschusses, Ansgar Heveling (CDU): "Der Sekundärschutz für Syrer und damit auch der Umfang des Familiennachzuges bleiben sicherlich auf der Tagesordnung der deutschen Innenpolitik", sagte Heveling unserer Redaktion. Für ihn sei es "sehr plausibel, angesichts des Individualgrundrechtes auf Asyl wieder zu einer Einzelfallprüfung zurückzukehren". Das bedeute nicht, dass alle Syrer nur noch sekundären Schutz bekämen. 2014 seien davon lediglich zwölf Prozent betroffen gewesen.

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(RP)
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