Düsseldorf Suche nach Nazi-Schergen geht weiter

Düsseldorf · Das Simon-Wiesenthal-Zentrum initiiert eine große Plakataktion, mit der die noch unentdeckt lebenden, hochbetagten NS-Verbrecher zur Verurteilung aufgespürt werden sollen. Über die Auslobung eines "Kopfgeldes" besteht Dissens.

 Plakate des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Köln: "Spät, aber nicht zu spät" lautet der Titel der Kampagne, mit der die Organisation in deutschen Großstädten zur Mithilfe bei der Fahndung nach NS-Verbrechern aufruft.

Plakate des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Köln: "Spät, aber nicht zu spät" lautet der Titel der Kampagne, mit der die Organisation in deutschen Großstädten zur Mithilfe bei der Fahndung nach NS-Verbrechern aufruft.

Foto: dpa (4)

Simon Wiesenthals größter Coup war das Aufspüren von SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann 1960 in Argentinien. Eichmann, der nach 1945 unter falschem Namen lebte, war einer der Hauptverantwortlichen für die als "Endlösung" beschriebene millionenfache Deportation und Ermordung der europäischen Juden durch das Nazi-Regime. Nachdem der blasse Finsterling 1961 in Israel zum Tode verurteilt und hingerichtet worden war, war nicht nur in den Augen Wiesenthals, der durch den Holocaust zahlreiche Angehörige verloren hatte, in einem großen Einzelfall Gerechtigkeit geschehen.

 Wegen eines Massakers in Italien steht Gerhard Sommer auf der Liste der meistgesuchten NS-Verbrecher.

Wegen eines Massakers in Italien steht Gerhard Sommer auf der Liste der meistgesuchten NS-Verbrecher.

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Aber Wiesenthal (1908–2005) ruhte nicht. Sein Kampf um das Aufspüren, Dingfestmachen und Verurteilen von NS-Verbrechern ging erfolgreich weiter. Das nach ihm benannte Zentrum ist nun bereit zum gleichsam letzten Gefecht. Denn die noch unentdeckten, hochbetagten Mörder werden aus zeitlich-biologischen Gründen immer weniger. Mit der Großaktion "Operation Last Chance" ("Operation Letzte Chance") möchte man die Bevölkerung wachrütteln und zur Mithilfe bei der Suche von geschätzt 60 bis 120 unentdeckt gebliebenen NS-Mördern aufrufen. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum rechnet damit, dass 68 Jahre nach dem Zusammenbruch des Hitler-Reiches nur noch wenige Jahre bleiben, um an den greisen Tätern deren Untaten von einst zu sühnen.

Mord verjährt nicht, und die Erinnerung an die immer noch unfassbaren, so perfide wie perfekt organisierten Verbrechen im staatlichen Auftrag verbietet es, Gnade vor Recht walten und die alten Unholde in Ruhe zu lassen.

Seit gestern hat das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Berlin, Hamburg und Köln 2000 Plakate kleben lassen. Der Weckruf-Text dazu lautet: "Millionen Unschuldiger wurden von Nazi-Kriegsverbrechern ermordet. Einige der Täter sind frei und noch am Leben. Helfen Sie uns, diese vor Gericht zu bringen!"

An dem Zusatz, dass für wertvolle Hinweise bis zu 25 000 Euro Belohnung winkten, entzündet sich nun eine Meinungsverschiedenheit. Der in Israel geborene Münchner Historiker Michael Wolffsohn kritisierte die Auslobung eines "Kopfgeldes" als "pietätlos und schamlos". Das, so meinte Wolffsohn im Deutschlandradio, werde eher Mitleid mit den hochbetagten Kriegsverbrechern hervorrufen. Efraim Zuroff, der in Jerusalem für das Wiesenthal-Zentrum arbeitende Initiator der Kampagne, widersprach: Die Belohnung sei kein Problem. Ebenso wie der Zentralrat der Juden in Deutschland betonte Zuroff, die verstrichene Zeit mindere nicht die Schuld der Täter, die als junge Männer ihre ganze Energie darauf verwendet hätten, unschuldige Menschen zu ermorden.

Die Verfolger fühlen sich in ihrem Elan bestärkt durch das Urteil gegen den früheren KZ-Aufseher John Demjanjuk, der 2011 in München zu fünf Jahren Haft wegen Beihilfe zum 28 000-fachen Mord verurteilt worden war. Das Gericht hatte sich – ein Novum in NS-Prozessen – von der Schuld des Angeklagten allein aufgrund seiner Anwesenheit als Wachmann im Vernichtungslager Sobibor überzeugt gezeigt.

(RP)
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