Studiengebühren – Unis fürchten Finanzmisere

Die Linkspartei hat gestern an 27 Hochschulstandorten für die sofortige Abschaffung der Studiengebühren in NRW demonstriert. Gunhild Böth, hochschulpolitische Sprecherin, verteilte an der Universität Wuppertal Flugblätter, in denen SPD und Grünen "Wählertäuschung" vorgeworfen wird. "Die Studierenden haben kein Verständnis dafür, dass die Beiträge erst zum Wintersemester 2011 abgeschafft werden sollen", erklärte Böth. "Das wäre möglich, wenn nur der politische Wille dazu vorhanden wäre."

Der Streit um die Abschaffung der Studiengebühren – eins der Wahlkampf-Kernversprechen von Rot-Grün – geht in die heiße parlamentarische Phase. Für kommende Woche ist im Landtag eine Experten-Anhörung geplant, danach soll der Wissenschaftsausschuss beraten, im Februar der Landtag. Damit ist der Zeitplan bereits ins Rutschen geraten – im Koalitionsvertrag war ein Gesetz für 2010 avisiert worden. Und die Zustimmung der Linken ist noch nicht sicher. "Wenn die Linke dieses Gesetz ablehnt, muss sie erklären, warum sie mit CDU und FDP die Abschaffung der Gebühren verhindert", sagt der Grünen-Hochschulexperte Arndt Klocke.

Das Problem: Rot-Grün fehlt im Landtag für ein Gesetz eine Stimme zur Mehrheit. Da CDU und FDP nicht die Hand zur Abschaffung der von ihnen eingeführten Gebühren reichen werden, bleibt die Linke. Die will die Gebühren aber sofort loswerden, nicht erst, wie von Rot-Grün geplant, zum Wintersemester 2011. Daran scheiterte im Juli eine blitzartige Abschaffung – Rot-Grün zog seinen Antrag zurück, weil die Linke sich verweigerte. Einen Kompromiss gibt es noch nicht.

Den Hochschulen würden als Ersatz "durch das Land jährlich Mittel in Höhe von 249 Millionen Euro zweckgebunden zur Verbesserung der Lehre und der Studienbedingungen zur Verfügung gestellt", heißt es im Gesetzentwurf der Landesregierung. CDU-Hochschulexperte Michael Brinkmeier argwöhnt, dass ein Teil davon aus den Mitteln der Hochschulen selbst kommen soll. Ansatzpunkt, sagt Brinkmeier, könne zum Beispiel ein Prüfvermerk an den Landesrechnungshof sein, der die Rücklagen unter die Lupe nimmt. Das sind die Mittel, die die Unis, ihre Fakultäten und Lehrstühle in einem bestimmten Jahr nicht ausgegeben haben und mit ins nächste Jahr nehmen. Rechtsgrundlage ist derzeit der sogenannte Globalhaushalt: Die Hochschulen bekommen einen Gesamtbetrag vom Land, den sie selbst verwalten. Ein Angriff auf die Rücklagen sei nicht geplant, erklärt das Wissenschaftsministerium. Er könne erst ruhiger schlafen, erwidert Brinkmeier, wenn er das schriftlich habe.

Die Hochschulen sind beunruhigt. Die Rücklagen seien "notwendig und gewollt", sagt Gerhard Möller, Kanzler der Ruhr-Uni Bochum. So vermeide man das einst gefürchtete "Dezember-Fieber" – was an bewilligten Mitteln bis Jahresende nicht ausgegeben war, verfiel. "Wer da eingreift, wird sehr viel Vertrauen zerstören", warnt Möller. Und Ulrich von Alemann, Prorektor für Lehre und Studienqualität an der Universität Düsseldorf, sagt: "Die Rücklagen anzugreifen, wäre ein Wechsel der Geschäftsgrundlage, und für die Hochschulen wäre es eine Katastrophe. Es ist ja nicht so, dass die Hochschulen mit den Rücklagen sozusagen Schatztruhen angelegt hätten." Der größte Teil sei an bestimmte Projekte gebunden.

Bei der Anhörung im Landtag kommende Woche wollen die Unis fordern, die Festlegung auf 249 Millionen Euro fallenzulassen. Grund: 2013 erwartet NRW durch die Verkürzung der Gymnasialzeit von neun auf acht Jahre einen doppelten Abiturjahrgang und damit deutlich mehr Studenten. Das hieße derzeit: auch deutlich mehr Gebühren. Wenn aber die Ersatz-Mittel gedeckelt sind, hätten die Unis pro Student deutlich weniger zur Verfügung als jetzt.

Eine Änderung zeichnet sich bereits ab: Die Linke will noch diese Woche einen Änderungsantrag zum rot-grünen Entwurf einbringen. Darin soll festgeschrieben werden, dass die 249 Millionen Euro Landesmittel pro Jahr ein Mindestbetrag sind. Bei den Schlüsselzuweisungen sollen, anders als derzeit, auch Studierende berücksichtigt werden, die länger als die Regelstudienzeit benötigen. Die Grünen deuten zumindest im ersten Punkt Zustimmung an: "Möglicherweise wird es nötig sein, zur Finanzierung des doppelten Abiturjahrgangs 2013 noch etwas auf diesen Grundbetrag draufzusatteln", sagt Klocke.

(Rheinische Post)
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