Berlin Studie: Stimmung in der Bundeswehr auf dem Tiefpunkt

Berlin · Jeder zweite Kommandeur, Kompaniechef oder Kompaniefeldwebel hat erwogen oder denkt daran, vorzeitig aus der Bundeswehr auszuscheiden; zwei von drei Führungskräften in den Streitkräften würden ihren Kindern vom Eintritt ins Militär abraten. Das sind zwei Ergebnisse einer umfangreichen Erhebung der Technischen Universität Chemnitz. Sie machen deutlich, wie unzufrieden das mittlere Management in Uniform mit der Entwicklung der Bundeswehr ist.

"Eine Diagnose mit Ansage" nannte Oberst Ulrich Kirsch, der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, die Ergebnisse der von seiner Organisation in Auftrag gegebenen Untersuchung. Schon im Oktober 2011 habe er mit Blick auf die Bundeswehrreform gewarnt: "Den Streitkräften droht der Burn-out." Kirsch: "Das ist nach wie vor so. Diese Studie ist der wissenschaftliche Beleg dafür."

Die Chemnitzer Politikwissenschaftler werteten 1800 Fragebögen aus. Das Verteidigungsministerium hatte die Soldaten ausdrücklich zur Teilnahme ermutigt. Die Untersuchung belegt unter anderem, dass knapp die Hälfte der Befragten die Umsetzung der Neuausrichtung als "schlecht" oder "sehr schlecht" bewertet. Fast 90 Prozent der militärischen Führungskräfte glauben, dass die Reform nicht nachhaltig wirkt und bald einer Korrektur bedarf. Ein großer Teil (67,8 Prozent) fühlt sich von der Politik im Allgemeinen nicht unterstützt, 65,4 Prozent fühlen sich von der Bundesregierung alleingelassen. Nur sieben Prozent der Befragten glauben, dass die Gesellschaft ein positives Verhältnis zur Bundeswehr hat.

Die Reform war im Frühjahr 2010 unter enormem Spardruck noch von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) auf den Weg gebracht worden. Die allgemeine Wehrpflicht endete, die Truppe schrumpft zurzeit von 250 000 Mann auf 175 000 bis 180 000 Soldaten. 21 000 zivile Arbeitsplätze fallen weg, Rüstungsprojekte werden gekürzt, rund 30 Standorte aufgegeben und weitere 90 massiv verkleinert.

Die Studie belegt, das der Großteil der Soldaten die Vereinbarkeit von Familie und Dienst nicht mehr gewährleistet sieht. Dies wird durch eine hohe Scheidungsrate in der "Pendlerarmee Bundeswehr" unterstrichen; monatelange Auslandseinsätze belasten Partnerschaften zusätzlich. Die Stimmung in der Truppe wird allgemein als schlecht bewertet. "Diese Ergebnisse sind ein Weckruf. Denn wenn die Politik jetzt nicht sofort nachsteuert, droht die Neuausrichtung zu kippen", warnte Kirsch. "Dann wäre in kürzester Zeit die nächste Reform fällig. Und sieben Reformen in 20 Jahren, das hält wohl selbst die Bundeswehr nicht aus."

Der Verbandsvorsitzende sieht nicht nur nur Verteidigungsminister Thomas de Maizière, sondern auch Arbeitsministerin Ursula von der Leyen und Finanzminister Wolfgang Schäuble (alle CDU) in der Pflicht: Wünschenswert seien beispielsweise zusätzliche Stellen, um Elternzeiten besser zu ermöglichen.

(RP)
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