Extremismus in Deutschland Telegram abschalten wäre der falsche Weg

Meinung | Düsseldorf · In einem Interview hat die deutsche Innenministerin mit dem Gedanken gespielt, den Nachrichtendienst Telegram notfalls abzuschalten. Die Betreiber kümmerten sich zu wenig um die radikalen Inhalte in ihren Kanälen. Der Befund ist richtig, die Idee falsch.

 Beim Messengerdienst Telegram kommt es regelmäßig zu Rechtsverstößen, denen bisher schwer beizukommen ist.

Beim Messengerdienst Telegram kommt es regelmäßig zu Rechtsverstößen, denen bisher schwer beizukommen ist.

Foto: dpa/Sergei Konkov

 „Schwerwiegend“ fände sie diesen Schritt und „ganz klar ultima ratio“. Doch ausschließen will Innenministerin Nancy Faeser  (SPD) nicht, dass der Messengerdienst Telegram in Deutschland abgeschaltet werden könnte. Zumindest spielt sie in einem Interview in der „Zeit“ mit dieser Idee als ultimatives Drohmittel. Schließlich sei es für jeden Betreiber ein „empfindliches Übel“, wenn  Dienst abgeschaltet werde, sagt sie da. Darum werde das Innenministerium nochmal prüfen, wie juristisch gegen Telegram vorgegangen werden könnte, wenn dort weiterhin radikalisierte Nutzer   ungehindert zu Straftaten aufrufen und Menschen aus dem öffentlichen Leben bedrohen und verunglimpfen. Auch auf europäischer Ebene will die Ministerin den Versuch fortsetzen, die üblichen Regeln im Umgang mit strafbaren Inhalten bei Telegram durchzusetzen.

Tatsächlich ist der Dienst nicht nur eine weltweit gefragte Plattform für den Austausch privater Nachrichten, sondern in radikalisierten Kreisen populär. Das hat unter anderem damit zu tun, dass Telegram  zu keinem der amerikanischen Großkonzerne gehört, sondern vom Russen Pawel Durow betrieben wird, der sich als digitaler Underdog inszeniert. Der Dienst gilt als widerständig gegenüber staatlichen Einflussversuchen etwa in Russland und bietet allerhand  Vernetzungshilfen an. So können Nutzer geheime Chatgruppen gründen, Kanäle mit mehreren hunderttausend Mitgliedern einrichten und große Dokumente teilen. Das nützt Menschen in repressiven Staaten wie dem Iran, es nützt aber zum Beispiel auch radikalisierten Gegnern der deutschen Corona-Politik, die bei Telegram falsche Behauptungen übers Impfen, Tiraden gegen Politiker oder Virologen und Verabredungen zu „Spaziergängen“ ohne Maske genauso teilen wie Hassparolen, Mordfantasien oder Anschlagpläne.

Menschen mit extremer Haltung fühlen sich bei Telegram sicher und unbeobachtet. Und weil der Betreiber verschleiert, von wo er seine Plattform betreibt und wo seine Server gerade liegen, fällt es deutschen wie europäischen Behörden schwer, Mindeststandards im Umgang mit radikalen Inhalten einzufordern. Im Grunde ist Telegram ja kein Nachrichtendienst mehr, sondern ein soziales Netzwerk. Müsste folglich etwa strafbare Inhalte löschen und leicht zugängliche Meldewege für bedenkliches Material  einrichten. Nichts davon geschieht. Bußgeldbescheide zeigen keine Wirkung. Wie auch?

Natürlich kann man verstehen, dass eine Innenministerin nicht nur nach einer europäischen Antwort sucht, sondern auch mit der Abschaltung droht. Stecker ziehen, dann hätte der Spuk ein Ende. Doch dürfte das technisch kaum realisierbar sein, wie frühere Versuche zeigen. An Telegram  sind schon andere Länder gescheitert, neben die sich Deutschland  kaum einreihen wollen dürfte. Die Idee, den Dienst abzuschalten, ist also eine leere Drohung. Und die fallen immer auf jene zurück, die sie aussprechen, weil sie Schwäche offenbaren und die Selbstinszenierung radikaler Kräfte als verfolgte Opfer von Zensur stimulieren.

Außerdem würden Rechtsradikale oder Corona-Leugner sehr schnell neue digitale Kanäle finden, um in Kontakt zu bleiben.  Vor allem jedoch ist eine Gesellschaft nie gut beraten, das, was an kruden Gedanken und radikalisierter Energie in ihr grummelt, einfach abzuschalten. Hände vor die Augen, weg ist die Welt, so funktioniert erwachsenes Miteinander nicht. Wenn Verschwörungsgedanken kursieren, wenn sich Hass aufstaut, dann kann eine Gesellschaft dem nur begegnen, wenn sie es zunächst einmal zur Kenntnis nimmt. Nicht der Kanal ist ja das Hauptproblem, sondern die hasserfüllten Inhalte. Und die sind nun mal da.

Allerdings funktioniert  Telegram  natürlich auch als Echokammer und damit Verstärker von Hass. Wer nur noch wahrnimmt, was in bestimmten Anhängerschaften ausgetauscht und immer wieder betont und bestätigt wird, driftet immer tiefer hinein in diese Parallelwelten. Dass das in handfester Gewalt enden kann, hat Deutschland bereits erlebt. Etwa als ein junger Mann an einer Tankstelle sterben musste, weil er einen anderen aufforderte, die vorgeschriebene Maske zu tragen. Darum muss die Innenministerin tatsächlich  im Bund mit ihren europäischen Kollegen nach Wegen suchen, Mindeststandards auch bei digitalen Nomaden wie den Telegram-Betreibern durchzusetzen.

Zugleich zeigt sich an diesem Beispiel einmal mehr, wie wichtig Medienerziehung ist. Wehrhafter noch als Regeln, Kontrolle, Strafe durch den Staat sind aufgeklärte Bürger, die wissen, was sie an ihrer Demokratie haben. Und wie sie mit digitalen Echokammern umgehen.

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