Jospin in der Zwickmühle Streit um Korsika eskaliert

Paris (dpa). Geht er oder geht er nicht? Das ist in Paris schon nicht mehr die Frage. Der Streit um den Plan von Premierminister Lionel Jospin, der französischen Mittelmeerinsel Korsika mehr Autonomie einzuräumen, scheint unumgänglich zum Rücktritt von Innenminister Jean-Pierre Chevenement zu führen. Dieser sieht in Jospins Versuch, dem unruhigen Korsika "Frieden und Fortschritt" zu bringen, nur einen ersten Schritt zur "Zerschlagung Frankreichs". Am Wochenende dürfte Lionel Jospin den hartnäckigen Minister mit Rücktrittserfahrung zum entscheidenden Gespräch unter vier Augen empfangen. Sofort nach der Sommerpause ist der sozialistische Premierminister damit unter Druck.

An der Seine lautet die Frage eher: Verlässt der Linksrepublikaner Chevenement die rot-grüne Regierung ganz, obwohl sie doch vor gleich zwei wichtigen Wahljahren steht? Möglich ist auch, dass Jospin seinen "Freund" noch dazu überredet, bei dem sowieso absehbaren Stühlerücken im Kabinett einen anderen Posten zu übernehmen. Die sehr beliebte Arbeitsministerin Martine Aubry will im Oktober die Runde verlassen, weil sie den attraktiven Bürgermeisterposten in Lille im Auge hat.

Seine Aufgabe als Innenminister wäre es, einen Gesetzentwurf zur größeren Autonomie von Korsika im Parlament einzubringen und auch zu erläutern. Das lehnt Chevenement strikt an. "Ich bin ein politischer Mensch und habe Überzeugungen", erklärt der Querdenker aus Belfort.

Sollten Innenminister und Arbeitsministerin von Bord des rot- grünen Schiffes gehen, könnte die Regierung an Gleichgewicht verlieren. So hat Wirtschafts- und Finanzminister Laurent Fabius während der Korsika-Diskussion seinen Premierminister und Genossen Jospin bereits zusätzlich unter Druck gesetzt. Von einer doch eher liberalen Position aus verlangt Fabius "die größte Steuersenkung seit fünf Jahrzehnten". Er baut sich als Rivale zu Jospin auf und als ein stark liberal-moderner Regierungsmann, der kühne Politik einfordert.

Ehe sich Jospin mit diesen Forderungen näher befassen kann, bei denen es immerhin um Steuererleichterungen in Höhe von 100 Milliarden Franc (30 Milliarden Mark) geht, müsste der Streit um die "Insel der Schönheit" ein Stück weit beigelegt sein. In den Umfragen stützen die Franzosen bei aller Skepsis Jospins Befreiungsschlag, dem erneut von Gewalt sowie von Misswirtschaft geprägten Korsika nach und nach mehr gesetzgeberische Kompetenz zu geben. Der Lehrersohn Chevenement, der schon zwei Mal - unter anderem wegen des Golfkrieges - aus Protest eine Regierung verlassen hat, sieht dagegen die Republik in Gefahr - vor allem, weil die Korsen französische Gesetze abändern können sollen.

Die in der Bretagne, im Baskenland oder in Savoyen schon geäußerte Erwartung, im korsischen Kielwasser auch freier von der Zentralgewalt in Paris zu werden, hatte Jospin gedämpft. In einem Interview meinte er, Korsika sei eben ein besonderer Fall. Doch noch fehlt Jospin ein Innenminister, der sich hinter den Gesetzentwurf stellt, mit dem die Bomben der Nationalisten durch mehr Freiheit ersetzt werden sollen.

(RPO Archiv)
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