Streit um die Roma

Mit zwölf Millionen Angehörigen sind die Roma die größte ethnische Minderheit in Europa. In ihren Herkunftsländern werden sie häufig diskriminiert – daran haben auch EU-Milliarden nichts geändert.

Brüssel/Düsseldorf Seit Wochen sorgen die massiven Abschiebungen von Roma-Gruppen aus Frankreich für Wirbel. Nun hat Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy wegen der umstrittenen Praxis einen wüsten Streit mit der EU-Kommission vom Zaun gebrochen – und obendrein auch noch Bundeskanzlerin Angela Merkel vergrätzt, als er behauptete, auch Deutschland wolle bald Roma-Lager räumen lassen.

Hinter der bösen Polemik steckt ein ernstes Problem, das in Europa lange verdrängt wurde. Die Roma leben als eine der größten ethnischen Minderheiten auf viele europäische Länder verteilt. Man schätzt ihre Zahl auf insgesamt zehn bis zwölf Millionen, davon etwa 100 000 in Deutschland. Ihr rechtlicher Status und ihre Lebensumstände sind allerdings je nach Land sehr unterschiedlich. So leben in den rund 600 illegalen Lagern in Frankreich überwiegend Roma aus Rumänien und Bulgarien, die nach dem EU-Beitritt der beiden Länder Anfang 2007 nach Frankreich gekommen sind.

Nach Deutschland kamen dagegen zuletzt vorwiegend Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem früheren Jugoslawien. "In den Kriegen auf dem Balkan sind sehr viele Menschen nach Deutschland geflohen, weil sie hier Verwandte hatten oder früher in Deutschland gearbeitet hatten", sagt Bernd Maesovic von der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl. Insgesamt leben rund 35 000 Roma aus Ex-Jugoslawien in Deutschland, davon etwa 10 500 Roma-Flüchtlinge aus dem Kosovo.

Für diese Menschen galt wegen der schwierigen Sicherheitslage in dem Balkanland bis April 2009 ein Abschiebestopp. Dann aber unterzeichneten Berlin und Pristina ein "Rückführungsabkommen". Damit ist grundsätzlich der Weg frei für die Abschiebung von insgesamt rund 12 000 Angehörigen der Minderheiten der Roma, Ashkali und Kosovo-Ägypter, die keine gültige Aufenthaltsgenehmigung haben.

Von Massenabschiebungen wie in Frankreich kann aber keine Rede sein. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums wurden in diesem Jahr bis Ende Juli 102 Roma in den Kosovo ausgewiesen. Im vergangenen Jahr waren es 76. Das NRW-Innenministerium verzeichnet insgesamt rund 3700 "ausreisepflichtige" Roma. Bei Abschiebungen, so versicherte ein Sprecher, werde aber mit Augenmaß vorgegangen. So würden Familien grundsätzlich nicht getrennt.

Hintergrund der Roma-Problematik sind jedoch die teilweise katastrophalen Lebensbedingungen der Roma in ihren Herkunftsländern. Dort werden sie häufig sogar von Staats wegen diskriminiert und aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Das gilt besonders bei Arbeitsplätzen sowie dem Zugang zu Bildung, zur Gesundheitsvorsorge und anderen staatlichen Angeboten. Viele Roma sind EU-Bürger und haben daher das Recht, sich innerhalb der Union frei zu bewegen. Sie können mit einem gültigen Ausweis bis zu drei Monate in einem Land bleiben. Wenn sie dann in den Westen kommen, leben jedoch viele in den Außenbezirken der Großstädte, schlafen auf Bürgersteigen und verdienen ihren Lebensunterhalt durch Betteln, Verkaufen von Blumen, als Musikanten oder mit Gelegenheitsjobs. Roma werden sehr oft mit Kriminalität in Zusammenhang gebracht. Einer Studie der EU-Kommission zufolge würde sich ein Viertel der Europäer unwohl fühlen, wenn ein Roma ins Nachbarhaus einziehen würde.

Brüssel versucht daher schon seit einiger Zeit, die Lage der Roma in ihren Heimatländern zu verbessern. Mit EU-Hilfe haben zwölf Mitgliedsländer spezielle Programme zur Eingliederung aufgelegt und dafür 17,5 Milliarden Euro bereitgestellt. Davon kamen 13,3 Milliarden Euro aus dem EU-Sozialfonds für die Jahre 2007 bis 2013. Dies ist nach Angaben der EU-Kommission gut ein Viertel der gesamten Fördermittel, die diese Länder daraus erhalten.

In Spanien etwa nahmen mehr als 30 000 Roma an einem Programm zur beruflichen Eingliederung teil. Rumänien, wo jeder fünfte europäische Roma lebt, will diesem Beispiel folgen. In Tschechien gibt es in der Gemeinde Dobra Voda ein Integrationsprogramm für die dortige Roma-Gemeinde – Krippen, Kindergärten und Schulen gehören ebenso dazu wie Fortbildungskurse für Erwachsene, eine spezielle Jobvermittlung am örtlichen Arbeitsamt sowie ein juristischer Beratungsdienst. Mehrere Länder unterstützen mit EU-Geldern auch Initiativen, die gegen die Diskriminierung von Roma ankämpfen. Grundsätzlich müssen die EU-Staaten solche Maßnahmen allerdings mit bis zu 25 Prozent der Kosten kofinanzieren. Das stellt in Krisenzeiten häufig ein Problem dar.

Und so bleibt die Lage der Roma weiter prekär, zumal sich mit Geld allein die hartnäckigen Vorbehalte gegen sie nicht einfach aus der Welt schaffen lassen. Ein Bericht der EU-Kommission stellte jüngst fest: "Roma sehen sich in Europa nach wie vor mit hartnäckiger Diskriminierung und Segregation konfrontiert." In den vergangenen beiden Jahren hat die Kommission gegen 24 Mitgliedsstaaten Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, um sicherzustellen, dass das EU-Verbot von Diskriminierung aufgrund ethnischer Kriterien ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt wird.

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